Julia Extra Band 373
Geräuschpegel aus Gesprächen und Schimpfen und Kinderquengeln. „Ich möchte, dass du so tust als ob“, murmelte er. „Nur für heute, nur solange wir hier festsitzen.“
„Ich …“
„Es wird noch Stunden dauern, bevor wir von hier wegkommen. Was kann es schaden, ein kleines ‚Als ob‘-Spiel zu spielen?“
Als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass er eine Chance hatte. Die Chance, die Verbindung zu ihr wiederherzustellen. Der Funke war noch immer da. Heute wollte er nicht daran denken, dass er nicht mehr der Mann war, den sie zurückgelassen hatte, auch nicht daran, wie sehr er wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen zu jenem Weihnachtsfest und wieder mit Marietta in der Hütte sein, um einen anderen Weg einzuschlagen. Heute wollte er nur diese letzte Glut anfachen und sehen, wohin es führte. Wollte das „Was wäre, wenn“ in ein „So könnte es sein“ verwandeln.
Denn Reed wusste genau: Sollte der Funke erlöschen, dann für immer. Verglüht im Wind des hektischen Lebens, das sie beide führten.
Und mit diesem Wissen beugte er sich vor und küsste sie, bevor sie Zeit zu reagieren hatte.
Kaum lag Reeds Mund auf ihren Lippen, schien sich die Welt um sie zu derehen. Marietta hatte das Gefühl, als wäre sie mitten in der Fahrt auf ein Karussell aufgesprungen. Erinnerungen rissen sie mit, versetzten sie sieben Jahre zurück, in die Hütte, in das Bett, in Reeds Arme.
Er küsste sie mit dem Wissen eines Mannes, der ihren Körper genauestens kannte. Die Finger hatte er in ihr Haar geschoben, erweckte damit etwas in ihr zum Leben, was sie so lange nicht mehr gespürt hatte, nach dem sie sich insgeheim immer gesehnt hatte …
Aber Reed küsste sie nicht nur einfach … Er verlieh ihr das Gefühl, als wäre sie ein kostbares Geschenk. Und als er sich zurückzog, flüsterte er an ihren Lippen: „Ich hab dich vermisst. Ich habe nie aufgehört, an dich zu denken.“
„Reed, auch ich …“, setzte sie an, völlig gefangen in dem Kuss und den Emotionen, die er heraufbeschworen hatte.
Das schrille Klingeln ihres Handys brach den Bann, so jäh, dass sie zurücksprang. Reed ließ die Arme sinken, und Marietta fischte das kleine Gerät mit fahrigen Fingern aus ihrer Tasche.
Penelope hatte sie gerettet.
„Marietta, ich kann Brock nirgendwo auftreiben.“
„Wahrscheinlich holt er gerade seinen Smoking ab.“ Marietta drehte Reed den Rücken zu, wandte sich ab von seinem durchdringenden Blick, von den blauen Augen, die bis in ihre Seele zu sehen schienen. Konzentrierte sich stattdessen auf die volle Flughafenhalle, die unzufriedenen Mienen, das lauter werdende gereizte Geraune, das die Weihnachtsstimmung mehr und mehr zerstörte. Realität statt Märchen.
„Seine Mutter sagt, er sei noch gar nicht nach Hause gekommen. Ich weiß, es klingt schrecklich, dass ich einen Mann heirate, der noch bei seiner Mutter wohnt, aber das ist ja nur, bis er wieder Boden unter den Füßen hat. Letzte Woche hat er einen Rückruf bekommen, für eine Rolle in einem Pilotfilm. Und er erhält Lizenzen für eine Sitcom, in der er mitgespielt hat.“ Penelope musste Luft holen. „Ich bin sicher, es wird uns beiden guttun, wenn wir heiraten. Ihm macht es nichts aus, dass ich mehr Erfolg habe als er. Glaube ich.“
Marietta massierte sich die Schläfe. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, dass Penelope von Thema zu Thema hüpfte, dennoch war es anstrengend.
„Solche Zweifel kenne ich nicht. In meiner Karriere ist immer alles Schwarz und Weiß, aber mit dieser Hochzeit …“
Bekam die Braut etwa kalte Füße? Oder war sie wirklich nur nervös, weil Brock verschwunden war? „Penny, bestimmt …“, Marietta suchte nach Worten, um es behutsam auszudrücken, „… hat er vor Freude zu lange gefeiert.“
„Meinen Sie, das ist alles? Vielleicht hat er es sich ja anders überlegt.“
„Nein, sicher nicht. Er liebt Sie doch. Sie sind Penelope Blackburn. Wieso sollte er Sie nicht heiraten wollen?“
„Weil ich …“, Penelope schnüffelte, „… zu anspruchsvoll bin.“
Penelope war die fleischgewordene Version von „anspruchsvoll“, aber Marietta hatte nicht vor, ihr das zu sagen. „Brock wird schon pünktlich sein.“
„Sicher, gut. Aber was …“, Penelope holte tief Luft, „…wenn nicht? Was mache ich dann? Ich hab den Caterer schon bezahlt.“
Zum ersten Mal fragte Marietta sich, wieso Penelope Brock heiraten wollte. Hatte sie das Gefühl, zu lange gewartet zu haben und jetzt nehmen zu
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