Julia Extra Band 373
Bademantel wieder ab und marschierte direkt unter die Dusche. Was da eben zwischen ihr und Vito Barbieri passiert war, musste sie erst einmal verarbeiten. Seltsamerweise hatte sie sich wieder wie ein Teenager gefühlt. Sie spürte den Schmerz in ihrem Innersten. Energisch begann sie, sich abzuschrubben, als könnte sie dadurch ihre Sünden abwaschen. Schließlich rubbelte sie sich ab und schlüpfte in Jeans und ein T-Shirt, legte einen Holzscheit im Kamin nach, damit das Feuer wieder aufloderte, und setzte sich zu Harvey auf den Kaminläufer. Okay, nun hatte sie also zum ersten Mal Sex gehabt. Fantastischen Sex, dank Vito. Die Folge war leider ein totales Gefühlschaos. Geistesabwesend streichelte sie Harvey, dessen liebevoller Blick auf ihrem tränennassen Gesicht verweilte. Ich will Vito Barbieri aber keine Träne nachweinen, dachte sie, wütend auf sich selbst – und auf Vito. Sie hatten beide einen Fehler gemacht. Es wird das Beste sein, so zu tun, als wäre nie etwas geschehen, überlegte sie und fühlte sich gleich etwas besser. Das alles war nur passiert, weil sie sich über ihre Unterbringung aufgeregt und Vito herausgefordert hatte. „Verflixt!“, fluchte sie leise und erschrak, denn in diesem Moment klopfte jemand an die Tür.
Ein junges Mädchen kam mit einem Tablett herein. „Mr Barbieri dachte, Sie wären vielleicht hungrig.“ Beflissen setzte die Kleine das Tablett auf einem am Fenster stehenden Beistelltisch ab und hob die silberne Haube vom Teller.
„Ich hätte auch nach unten kommen können“, sagte Ava verlegen, der beim Anblick des appetitlich angerichteten Hühnerfrikassees das Wasser im Mund zusammenlief. Als Teenager war es ihr peinlich gewesen, bei ihren Besuchen auf Bolderwood bedient zu werden. Doch inzwischen dachte sie pragmatischer darüber. Die Jobs im Schloss waren sehr begehrt, weil die Arbeit nicht zu schwer war und Vito gut zahlte. Außerdem bot er jungen Leuten die Gelegenheit, eine Ausbildung auf dem Anwesen zu machen.
„Das ist nicht nötig. Im Schloss wimmelt es nur so von Personal, und wir müssen uns nur um zwei Bewohner kümmern“, erklärte das Mädchen lachend.
Ava war tatsächlich hungrig und ließ sich das Abendessen schmecken. Anschließend kramte sie ein Notizbuch aus ihrer Handtasche und stellte eine Liste der dringendsten Aufgaben zur Vorbereitung der Weihnachtsparty zusammen. Zuerst musste sie mit dem Partyservice telefonieren. Und mit dem Gartencenter, das Kränze und Girlanden ins Schloss lieferte. Persönlich vorbeizukommen, wäre natürlich besser, aber das war schwierig, denn man hatte ihr ja den Führerschein entzogen. Das Problem muss ich morgen irgendwie lösen, dachte Ava und packte ihre Reisetasche aus. Anschließend fütterte sie Harvey unten in einem von der Haushälterin zugewiesenen Raum, bevor sie mit dem Hund Gassi ging. Der Weg durch den weitläufigen Garten lag im Schein von Solarleuchten, die gespenstische Schatten warfen. Ganz geheuer war Ava der Spaziergang über das scheinbar im Winterschlaf liegende Anwesen nicht. Die fast unheimliche Stille wurde nur vom Knirschen der Kieselsteine unter ihren Schuhen durchbrochen. Erinnerungen holten Ava ein. Auf dieser Wiese hatte sie sich gesonnt und mit Olly fürs Abitur gelernt. Olly hatte nicht mehr an der Prüfung teilnehmen können. Ava schon, denn der Prozess fand erst Monate nach dem Autounfall statt. Also hatte Ava weiter das Internat besucht, wo sie wie eine Aussätzige behandelt wurde, hatte Abitur gemacht und war in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Der Empfang dort hätte nicht frostiger sein können.
Nach dem Spaziergang streckte Harvey sich wieder vorm Kamin aus, und Ava machte es sich in dem großen Bett bequem. Der ereignisreiche Tag forderte seinen Tribut: Kaum hatte Ava sich hingelegt, war sie schon eingeschlafen.
Am nächsten Morgen streckte sie sich wohlig, bis sie bei einem Blick auf die Uhr feststellte, dass es bereits neun war. Schnell sprang sie aus dem Bett und zog sich an. Zunächst musste Harvey raus. Bei der Rückkehr wurde Ava von Eleanor Dobbs empfangen, die sie zum Frühstück ins Esszimmer brachte.
„Könnte ich Sie nachher kurz sprechen?“, fragte sie.
„Selbstverständlich. Ist Vito da?“, erkundigte Ava sich möglichst beiläufig.
„Meistens wird er schon um sieben Uhr mit dem Helikopter abgeholt“, antwortete die Haushälterin.
Daran hat sich also nichts geändert, dachte Ava und nahm sich Müsli, Obst und Kaffee zum Frühstück. Vito liebte seine
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