Julia Extra Band 374
zerrte er sie weiter.
„Gnadenlos auf den eigenen Vorteil bedacht!“ Sie lachte verächtlich. „Anscheinend ein Familienmerkmal. Dein Bruder war nicht anders.“
Antonio erstarrte und blieb stehen. Mit ihren Worten hatte sie Salz in eine Wunde gestreut, die er mit allen Kräften zu ignorieren versuchte. Waren sein Bruder und er für Isabella austauschbar? Hatte sie vielleicht an seinen Bruder gedacht, wenn er sie küsste? Hatte sie sich Giovanni ebenso rückhaltlos hingegeben wie ihm?
Langsam drehte er sich zu ihr um und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand.
Im Schatten seines Bruders zu stehen, war er gewohnt, als Ältester war Giovanni schließlich der Erbe des riesigen Rossi-Vermögens. Doch weshalb hatte ausgerechnet Isabella ihn vorgezogen? Hatte sie ihn attraktiver und charismatischer gefunden? Hatte er ihre geheimsten erotischen Fantasien erraten? Hatte sie Giovanni vielleicht sogar geliebt?
„Antonio?“, fragte Isabella unsicher. Der Zorn und die Verbitterung, die sich in seiner Miene ausdrückten, jagten ihr Angst ein.
Wie gebannt starrte er sie an. Isabella besaß das Aussehen eines Engels und den Charakter einer Hure. Ihretwegen war sein Leben zur Hölle auf Erden geworden, doch er würde sich aus ihrem Bann befreien. Langsam kam Antonio wieder zu sich. Er hatte Isabella durchschaut, das würde die Macht brechen, die sie bisher über ihn besessen hatte.
Angewidert ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. „Vergleiche mich nicht mit meinem Bruder. Eine solche Bemerkung möchte ich nie wieder hören, verstehst du mich?“
Isabella war fassungslos. Antonio, der seine Emotionen bisher meisterhaft zu verbergen gewusst hatte, hatte seine Maske fallen lassen! Einen kurzen Moment lang hatte er ihr gezeigt, wie es wirklich in ihm aussah: Er litt seelische Qualen!
Doch schon einen Atemzug später hatte er sich wieder unter Kontrolle und gab sich gelassen. Isabella dagegen war bis ins Innerste aufgewühlt. Am ganzen Körper zitternd, lehnte sie an der Wand.
„Es tut mir leid“, brachte sie mühsam hervor.
Sie hatte ihn nicht mit Giovanni vergleichen wollen, das wäre ihr auch unmöglich gewesen. Die beiden Brüder hätten nicht gegensätzlicher sein können. Giovanni hatte das Aussehen eines Filmstars, war ein Charmeur und der Mittelpunkt jeder Party. Er war unterhaltsam – aber keinesfalls faszinierend, so wie Antonio.
Antonio musste für sie unerreichbar bleiben, das hatte sie auf den ersten Blick erkannt. Wer war sie denn schon? Eine kleine Amerikanerin ohne Background und Erfahrung. Es war ihr egal gewesen, sie hatte ihn gesehen und wenigstens einmal mit ihm zusammen sein wollen.
Deshalb war sie damals sofort auf sein Angebot eingegangen, sie zur Piazza del Popolo zu begleiten …
Isabella hatte die souveräne Frau gespielt, die sie nicht war, aber gern gewesen wäre. Antonio gab ihr das Gefühl, attraktiv und begehrenswert zu sein, das machte sie mutig.
„Antonio“, hatte er sich vorgestellt und ihr die Hand gereicht.
Sie zögerte, als ihr dabei seine goldenen Manschettenknöpfe auffielen. Erst jetzt bemerkte sie, dass er einen Designeranzug trug und eine Seidenkrawatte, die wahrscheinlich mehr gekostet hatte als ihr Flugticket nach Italien. Niemand aus ihrem Bekanntenkreis in Kalifornien konnte sich solche Garderobe leisten.
„Hüte dich vor reichen Männern“, hatte ihre Mutter sie stets gewarnt, „von Frauen wie uns wollen sie nur das Eine.“ Isabella hatte gelächelt, als sie daran denken musste. Da sie in jenem Moment dasselbe wollte, konnte ihr die Warnung gleichgültig sein.
Als ihre und Antonios Hand sich trafen, sog sie scharf den Atem ein, ihr ganzer Körper war wie elektrisiert. Als sie erschrocken den Arm zurückziehen wollte, ließ Antonio sie nicht los, sondern verstärkte noch den Druck seiner Finger.
Isabella fühlte sich nicht bedrängt. Ganz im Gegenteil, das erste Mal, seit sie ihre kranke Mutter bis zum bitteren Ende gepflegt hatte, erschien das Leben wieder aufregend und verlockend.
Als Antonio dann auch noch ihre Hand an die Lippen führte und zärtlich küsste, schwebte sie wie auf Wolken. Sie fühlte nur ihn, wollte nur ihn. Sie nahm sich vor, ihre Ferien in Italien bis zum letzten Tropfen auszukosten – die Erinnerung daran würde für ein ganzes Leben reichen müssen.
Dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen war, dass sie sich Antonio schon Stunden später leidenschaftlich hingeben würde, hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht
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