Julia Extra Band 376
verständnisvolle Aufmerksamkeit von Gabriel. Dennoch hatte sie nie nach einem Vaterersatz gesucht. Die Männer, zu denen sie sich in der Vergangenheit hingezogen gefühlt hatte, hatten versucht, sie zu kontrollieren und zu dominieren. Und alle waren Männer mit einer starken Präsenz gewesen. So wie Marcus …
„Ich vertraue Marcus nicht“, sagte sie. „Schon seit ich aus dem Flugzeug stieg, hat er keinen Zweifel daran gelassen, dass er mich nicht mag.“
„Glaubst du, er will Gabriel und dich auseinanderbringen?“
„Im Moment weiß ich wirklich nicht, was ich denken soll.“ Sie war sich nur sicher, dass irgendetwas an Marcus sie beunruhigte, und es war kein schönes Gefühl. Aber bis Gabriel zurückkam, war sie mehr oder weniger von seinem Sohn abhängig.
„Ich muss dir auch etwas erzählen“, platzte Jessy in ihre Gedanken. „Wayne hat mich nach Arkansas eingeladen, zum vierzigsten Hochzeitstag seiner Eltern. Damit ich seine Familie kennenlerne.“
„Und du fährst, oder?“
„Na klar! Weißt du, wann mich ein Mann das letzte Mal seiner Familie vorgestellt hat? Und wann ich das letzte Mal überhaupt scharf darauf gewesen bin? Allerdings leben sie irgendwo auf dem Land, wo der Handy-Empfang ziemlich schlecht ist. Ich mache mir Sorgen, dass du mich vielleicht erreichen willst und ich dann nicht …“
„Jessy, mir wird schon nichts passieren! Und im schlimmsten Fall kann ich immer noch meinen Vater anrufen.“
„Bist du dir sicher?“
„Na klar! Mit Prinz Marcus werde ich schon zurechtkommen.“
Sie konnte nur hoffen, dass sie damit recht hatte.
Marcus war sich so sicher gewesen, dass er Vanessa von Anfang an durchschaut hatte. Doch nachdem sie den Tag gemeinsam im Städtchen verbracht hatten, kamen ihm Zweifel.
Tabitha, die wie immer die Interessen des Königs im Auge behielt, hatte Marcus wegen der Kreditkarte gewarnt, die sie für Vanessa besorgen musste. Marcus bereitete daher den Chauffeur schon einmal darauf vor, dass er später wahrscheinlich Unmengen an Tüten und Paketen zu tragen haben würde. Bis zum Nachmittag gingen sie dann auch in mindestens ein Dutzend Läden – Souvenirshops, teure Boutiquen, Juweliere.
Und Marcus sah genau, wie Vanessa die Kleider bewunderte und sich gar nicht losreißen konnte von einem Paar nicht einmal besonders teurer Ohrringe. Aber sie kaufte nichts – nur ein T-Shirt für ihre Tochter, eine Postkarte, die sie, wie sie sagte, an eine Freundin in Los Angeles schicken wollte, und einen Liebesroman – ihr einziges Laster, wie sie ihm mit einem verlegenen Lächeln gestand. All das bezahlte sie bar. Die größte Überraschung erlebte Marcus allerdings, als er ihre Unterhaltung mit einem Verkäufer mitbekam: Sie sprach fließend die Landessprache.
„Sie haben gar nicht gesagt, dass Sie unsere Sprache beherrschen“, sagte er, als sie den Laden verließen.
Sie zuckte nur die Schultern. „Sie haben mich nicht gefragt.“
Das war richtig. Vieles an ihr verwirrte ihn. Sie war weltgewandt und kannte viele Länder, und dennoch zeigte sie noch immer eine kindliche Freude und Neugier an allem, was sie besichtigten. Ihr Enthusiasmus war so ansteckend, dass auch Marcus seine Heimat mit neuen Augen zu sehen begann.
Vanessa war intelligent. Sie wirkte selbstsicher und elegant, zugleich bezaubernd ungeschickt, wenn sie in einem Laden etwas herunter stieß oder über eine Türschwelle – oder die eigenen Füße – stolperte. Während sie hingerissen eine alte Kirche betrachtete, lief sie gegen eine Touristin, die gerade ein Foto schoss. Und das war ihr keineswegs peinlich! Sie lachte einfach herzlich, entschuldigte sich bei der Frau und machte ihr sogar noch ein Kompliment für ihre Schuhe.
Außerdem hatte Vanessa die vergnügliche Angewohnheit, genau das zu sagen, was sie dachte. Ohne lange darüber nachzudenken, egal, ob sie sich blamierte.
Sie war erfrischend unkonventionell.
Noch vor vierundzwanzig Stunden wäre er froh gewesen, sie nie wiedersehen zu müssen. Aber jetzt saß er mit ihr im Schatten eines Olivenbaums auf einer Decke im Garten des Jachtklubs von Varieo und sah ihr zu, wie sie mit gutem Appetit Salami, Brot und Käse aß. Zwischen ihnen turnte Mia herum, noch immer schaukelte sie unermüdlich auf Händen und Knien vor und zurück. Marcus war verwirrt; eine beunruhigende Mischung aus Ratlosigkeit, Argwohn und Faszination hielt ihn gefangen.
„Sie waren wohl sehr hungrig“, bemerkte er, als Vanessa sich das letzte Käsestück in
Weitere Kostenlose Bücher