Julia Extra Band 376
den Mund steckte.
Die meisten Frauen wären bei einer solchen Bemerkung wohl zusammengezuckt, hätten sich vielleicht sogar angegriffen gefühlt. Aber ihr schien es nichts auszumachen.
„Ich unterzuckere schnell, darum muss ich mindestens fünf, sechs Mal am Tag etwas essen. Trotzdem nehme ich nicht zu. Noch ein Grund mehr für andere Frauen, mich zu hassen.“
„Warum sollten andere Frauen Sie hassen?“
„Machen Sie Witze? Eine Frau, die alles essen kann, was sie will, und trotzdem kein einziges Pfund zunimmt – für manche Leute ist das unverzeihlich. Als ob ich etwas dafür könnte, schön und schlank zu sein! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft ich mir als Teenager gewünscht habe, ein ganz gewöhnliches Mädchen zu sein.“
„Ich dachte, alle Frauen möchten schön sein?“
„Die meisten ja. Aber nur sie selbst sollen schön sein, nicht die anderen. Deshalb war ich bei den Mädchen unbeliebt.“
Während sie das sagte, geriet Mia ins Straucheln und plumpste gegen Marcus’ Bein. Sie lächelte ihm zu und brabbelte fröhlich vor sich hin. Er konnte gar nicht anders als zurückzulächeln. „Hatten Sie denn gar keine Freundinnen?“
„Die meisten Mädchen hatten irgendwie Angst vor mir. Erst nach einiger Zeit tauten sie auf. Doch dann wurde mein Vater versetzt, und ich musste in einer neuen Schule von vorn beginnen.“
„Sind Sie oft umgezogen?“
„Mindestens einmal im Jahr. Mein Vater ist bei der Armee.“
Marcus konnte sich das nur schwer vorstellen. Er hatte gedacht, sie wäre in einem vornehmen Stadtteil aufgewachsen, mit einer wunderschönen, aber ehrgeizigen Mutter und einem Vater, der Manager in irgendeiner Firma war, und der seine Tochter nach Strich und Faden verwöhnte. „An wie vielen Orten haben Sie gelebt?“
„An zu vielen. Mein Vater war für Schulungen an speziellen Waffen zuständig, darum wurde er ständig versetzt. Wir haben in Deutschland, Bulgarien, Israel, Japan und Italien gelebt. Und in den USA auf elf verschiedenen Militärbasen in acht Staaten. Das alles, bevor ich achtzehn war. Manchmal glaube ich, das ständige Umziehen hat Dad geholfen, mit dem Tod meiner Mutter zurechtzukommen.“
Dass auch sie ihre Mutter verloren hatte, kam für ihn überraschend. „Wann ist sie gestorben?“
„Als ich fünf war. An einer Grippe.“
Seit dem Tod seiner Mutter fühlte Marcus sich, als würde eine schwere schwarze Wolke auf ihm lasten. Er bezweifelte, dass er je wieder so glücklich sein würde wie vor ihrem Tod. Vanessa schien jedoch trotz ihres Verlusts positiv und unbeschwert in die Zukunft zu schauen.
„Sie war erst sechsundzwanzig.“
„Das ist sehr jung.“
„Sie hatte sich schon eine ganze Zeit nicht gut gefühlt, und als es immer schlimmer wurde und sie endlich zum Arzt ging, da hatte sie schon eine Lungenentzündung. Dad war zu der Zeit gerade am Persischen Golf stationiert. Er ist nie darüber hinweggekommen, dass er nicht da war.“
Marcus konnte es nicht fassen, wie jemand so jung – und noch dazu an etwas so Alltäglichem – sterben konnte.
„Und was ist mit Ihnen?“, fragte Vanessa. „Wo haben Sie schon gelebt?“
„Ich war an vielen Orten. Aber gelebt habe ich immer nur hier im Palast.“
„Wollten Sie nie einfach ausbrechen und alles hinter sich lassen?“
Er wusste nicht, wie oft er das schon gewollt hatte. „Mein Platz ist hier“, sagte er. „Das wird auch von mir erwartet.“
Mia brabbelte etwas und wedelte mit den Armen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Er kitzelte sie unterm Kinn, und sie gluckste fröhlich.
„Wenn ich noch immer bei meinem Vater leben müsste, hätte man mich schon längst in eine Gummizelle gesteckt.“ Vanessa zog eine Miene, als habe sie in eine Zitrone gebissen. „Nie konnte ich ihm etwas recht machen.“
„Er freut sich bestimmt, wenn Sie jetzt einen König heiraten.“
„Selbst wenn ich ihm sagen würde, ich trete in Mutter Teresas Fußstapfen, würde er noch etwas daran auszusetzen finden. Außerdem habe ich ihm nichts davon gesagt. Nur ein einziger Mensch weiß, wo ich bin: meine beste Freundin Jessy.“
„Warum machen Sie so ein Geheimnis daraus?“
„Ich will mir erst ganz sicher sein, ob ich Gabriel wirklich heiraten möchte.“
„Warum sollten Sie ihn nicht heiraten wollen?“
Vanessa zögerte. Sollte sie wirklich mit Marcus über ihr Verhältnis zu Gabriel sprechen? So schlimm war Marcus gar nicht. Am Anfang waren sie beide noch reserviert gewesen, aber dann hatte
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