Julia Extra Band 376
Schlamm bespritzten Farmerin. Raul malte sich aus, wie er die Knöpfe ihrer Kostümjacke einen nach dem anderen aufknöpfen würde, genau wie bei ihrem Brautkleid vergangene Nacht …
„Ganz herzlichen Dank. Es ist mir ein großes Vergnügen, hier zu sein …“ Zu Rauls Erstaunen wandte sich Luisa in langsamem, aber deutlichem Monteregianisch an die Menschen, die den Platz säumten. „Nachdem so viele von Ihnen so freundlich waren, mich in Ihrer schönen Stadt willkommen zu heißen, freue ich mich darauf, sie selbst zu erkunden.“
Jubelnder Applaus brach aus. Auch wenn ihr Monteregianisch noch nicht fließend war, gewann sie allein dadurch, dass sie es versucht hatte, die Herzen der Menschen. Der Bürgermeister strahlte. Luisa blickte lächelnd in die Fähnchen schwingende Menge.
Raul betrachtete sie voller Stolz. Nur er bemerkte das leichte Zittern ihrer Hand, als sie den Schlüssel entgegennahm. Nur er, der sie gezwungen hatte, alles zurückzulassen und eine Rolle anzunehmen, die ihr widerstrebte, ahnte, wie viel es sie kostete, solche Haltung zu bewahren. Sein schlechtes Gewissen meldete sich mit aller Macht. Er hatte sie genauso manipuliert wie ihr tyrannischer Großvater es versucht hatte. Auch wenn er es zum Wohl seines Volkes getan hatte, war es doch Luisa, die darunter leiden musste.
Die Leidenschaft, die sie vergangene Nacht miteinander geteilt hatten … hatte er sie nicht auch dazu verführt und provoziert? Wäre sie aus freiem Willen zu ihm gekommen?
„Komm, ich trage ihn für dich.“ Geplagt von Gewissensbissen, nahm er ihr den schweren Schlüssel ab. „Es ist gleich überstanden“, flüsterte er ihr dabei aufmunternd zu.
Da, endlich sah sie ihn an, und er erstarrte. Vergeblich suchte er in ihren schönen Augen nach all den stürmischen Gefühlen, der Glut, der Zärtlichkeit, die er in ihrer Hochzeitsnacht darin gesehen hatte. Zum ersten Mal war Luisas Blick kühl und unnahbar.
Tiefe Enttäuschung erfüllte ihn, hatte er doch gerade gehofft, es könnte sich über die bloße Pflichterfüllung hinaus mehr zwischen ihnen entwickeln. Unwillkürlich griff er nach ihrer Hand, doch sie wich ihm unmerklich aus.
Verspätet dachte Raul daran, sich noch beim Bürgermeister zu bedanken, während Luisa bereits langsam … und in bemerkenswert aristokratischer Haltung … am Spalier der winkenden und applaudierenden Monteregianer entlangschritt.
Auf dem Rückweg schweifte Luisas Blick über den riesigen Schlosshof. Sie dachte an die weitläufigen Gärten hinter dem Palast und musste sich unwillkürlich spielende Kinder darin vorstellen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie einen kleinen Jungen mit dunklen Locken und grünen Augen über den Hof rennen …
„Luisa?“
Raul war bereits ausgestiegen und hielt ihr die Wagentür auf.
„Mit wem hast du früher eigentlich gespielt?“, fragte sie, noch ganz in Gedanken.
Sie wusste von ihm lediglich, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben, sein Vater, der letzte Fürst, ein ungeduldiger Mann gewesen war und er keine Geschwister hatte.
Er sah sie überrascht an. „Ich hatte nur wenig Zeit zum Spielen. Man wird zwar als Prinz geboren, aber man muss auch für diese Rolle geformt werden. Seit ich vier war, hatte ich Lehrer und wurde unterrichtet. Zeit zum Spielen stand nicht auf dem Stundenplan, obwohl später die verschiedensten Sportarten hinzukamen.“
„Das klingt nach … Drill“, meinte Luisa ziemlich entsetzt. Hatte man ihm denn gar nicht erlaubt, Kind zu sein? Was sie in ihrem Entschluss bestärkte, auf keinen Fall eine Schwangerschaft zu riskieren. So wollte sie kein Kind aufwachsen sehen!
„Ich war immer beschäftigt.“ Raul drückte auf den Knopf, um den Aufzug zu rufen.
Beschäftigt, aber nicht glücklich. Er musste ein sehr einsamer kleiner Junge gewesen sein. Erklärte das seine Reserviertheit? Seine eiserne Beherrschung?
„Und dein Vater? Hast du ihn oft gesehen?“
Sein Blick warnte sie eigentlich, dass er dieses Thema nicht weiterverfolgen wollte, aber sie gab nicht klein bei.
„Mein Vater war ein vielbeschäftigter Mann“, antwortete Raul widerstrebend. „Er musste ein Land regieren.“
Inzwischen hatten sie den Aufzug betreten und fuhren nach oben. Luisa dachte an ihre glückliche Kindheit, die voller Lachen und Wärme gewesen war. „Heißt das, er hatte keine Zeit für dich?“
„Warum willst du das wissen?“
„Ich bin deine Frau.“ Die Worte kamen ihr ganz selbstverständlich über die Lippen. „Ich möchte
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