Julia Extra Band 376
zuerst beide zur Hölle gewünscht hatte. Aber es war ihm keine Genugtuung gewesen, zuzusehen, wie sein stolzer Vater, von Reue gebeugt, zu einem Schatten des Mannes verkam, der er einmal gewesen war. „Er hat sich von einer eiskalten Mitgiftjägerin aufs Kreuz legen lassen, die halb so alt war wie er und nur auf sein Geld und seinen fürstlichen Stand aus war. Die meiste Zeit brachte sie in den Betten anderer Männer zu. Seine letzten Jahre waren eine einzige Qual.“
Es tat gut, das alles endlich einmal auszusprechen. All die Jahre hatte er geschwiegen, um Klatsch und Spekulationen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Viel war über die Ehe seines Vaters geargwöhnt, aber nie bewiesen worden. Raul hatte unermüdlich dafür gearbeitet, den Ruf des Fürstenhauses zu schützen. Er hatte für seinen Vater die Regierungsgeschäfte übernommen, als diesem alles entglitt. Weil das Land einen starken Fürsten und stabile Verhältnisse brauchte, verbot er sich, Ana und ihre Machenschaften bloßzustellen.
„Das ist nicht alles, richtig?“
Er begegnete Luisas besorgtem Blick und zögerte. Aber warum sollte er es ihr nicht erzählen? Sie konnte die Wahrheit sowieso leicht herausfinden. „Ich habe Ana mit Anfang zwanzig kennengelernt. Sie war in meinem Alter und so ganz anders als die Mädchen, die ich bis dahin kannte. Sie stammte nicht aus Adelskreisen, war nicht so affektiert und oberflächlich und scherte sich nicht um Etikette oder Klatsch. Ja, sie war wie ein frischer Wind. Lebendig, unverblümt, amüsant. Es war ihr egal, wenn sie sich die Frisur durch eine Fahrt im Cabrio ruinierte, und sie picknickte lieber draußen im Freien, als in einem piekfeinen Restaurant essen zu gehen. Ich habe mich Hals über Kopf in sie verliebt.“ Es war das erste Mal, dass er es offen eingestand. Seltsam, im Rückblick schien es jetzt gar nicht mehr so schlimm, eher wie eine verzeihliche Jugendsünde. Vielleicht weil er nicht mehr an die Liebe glaubte.
„O Raul“, warf Luisa mitfühlend ein.
„Wie sich herausstellte, hatte ich mich in ihr geirrt. Sie war keineswegs so frisch und unschuldig und liebenswert, wie sie schien. Nur leider war ich nicht der einzige, der auf sie hereinfiel. Ich machte den Fehler, sie meinem Vater vorzustellen, und er verfiel ihr, wie nur ein alter Narr einer sehr gerissenen, sehr schönen jungen Frau verfallen kann.“ Raul erinnerte sich nur zu gut an jene schlimme Zeit. Ana spielte mit ihm und hielt ihn auf Abstand, sobald sie seinen Vater als neues Opfer erkoren hatte. Warum sollte man sich mit dem Prinzen begnügen, wenn man den Fürsten samt fürstlichem Reichtum haben konnte? „Vier Monate später heiratete mein Vater sie.“
Für Raul war damals eine Welt untergegangen. Er zog sich ganz in seine Arbeit und sein Pflichten zurück, um den Schmerz über diesen Verrat zu betäuben. Von da an steckte er alle Energie in seine Verantwortung als zukünftiger Fürst und lernte mit den Jahren tatsächlich, ohne jegliche emotionale Bindungen auszukommen. Letztlich hatte die Erfahrung ihn nur stärker gemacht, er brauchte niemanden und war froh darüber. Dennoch fühlte er sich in diesem Moment, da er es Luisa erzählte, ungeheuer entblößt und verletzlich.
„Es muss schrecklich für dich gewesen sein“, warf Luisa sanft ein. „Hegst du immer noch … Gefühle für sie?“
„Gefühle?“, wiederholte er empört. „Für die Frau, die mich betrogen und meinen eigenen Vater angestiftet hat, mich ebenfalls zu betrügen?“ Er lachte verbittert. „Für die Frau, die mich zum Gespött der Leute gemacht hat? Die durch ihr skandalöses Verhalten fast das Fürstenhaus von Monteregio zu Fall gebracht hätte? Einmal abgesehen davon, dass sie durch ihre Affären den Stolz und die Ehre meines Vaters tatsächlich zerstört hat.“ Raul atmete tief ein. „Ich habe daraus etwas sehr Wertvolles gelernt: Niemals einem anderen Menschen zu vertrauen. Nie wieder leichtgläubig zu sein. Die Liebe ist nur eine Falle für die Unvorsichtigen.“
Plötzlich ging ihm auf, dass das, weshalb er sich vor all den Jahren so von Ana angezogen gefühlt hatte, ihn auch zu Luisa hinzog: ihre Unschuld inmitten einer Welt von politischen Intrigen, ihre Direktheit und Offenheit, ihre Schönheit. Nur bei Luisa war all das echt, was bei Ana Betrug und Berechnung gewesen war. Wenige Monate nach ihrer Hochzeit mit seinem Vater war sie eines Morgens zu ihm gekommen. Bekleidet mit einem Negligee aus durchscheinender schwarzer Spitze hatte
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