Julia Extra Band 377
und ein kleiner Teil von ihr freute sich, dass Parker sich scheinbar nicht zu sehr verändert hatte.
„Sehe ich zu unschuldig aus?“, fragte sie.
„Nein“, antwortete er unverblümt. „Aber ich erinnere mich an alle meine Spezis.“ Seine Züge wurden hart, er lachte trocken. „Und doch, irgendwie sehen Sie dafür zu sanftmütig aus. Trotzdem …“ Er nahm einen Schluck von seinem Drink, setzte das Glas dann wieder vorsichtig ab, und sein Tonfall wurde distanziert. „Glauben Sie mir, niemand ist so unschuldig, wie er aussieht.“
Der wache grüne Blick lag wieder auf ihr. Aufmerksam. Interessiert. „Haben wir vielleicht die gleiche Schule besucht?“
Wortlos schüttelte sie den Kopf.
„Oder sind wir uns auf einer Party begegnet?“
Sie genoss es, dass seine Neugier noch immer nicht befriedigt war, und nippte an ihrem Wein. „Raten Sie ruhig weiter.“
Nachdenklich verengte er die Augen. „Ich bin mir sicher, dass wir nicht miteinander geschlafen haben“, redete er weiter und schickte ihren Magen damit bis in die Kniekehlen.
Nur in ihren Teenagerträumen.
„Sie sind attraktiv, aber definitiv nicht mein Typ.“
„Für welchen Typ halten Sie mich denn?“
Er ließ den Blick langsam und gründlich über sie wandern, entfachte damit Hitze an Stellen, die normalerweise … nun, an denen normalerweise keine Hitze zu spüren war. Ihr Kleid war schlicht-elegant, auf jeden Fall nichts Verführerisches oder zu Freizügiges. Nichts, das signalisieren würde „Ich bin zu haben“.
Ironisch hob er eine Augenbraue. „Sie haben einen Brautmodenladen, demnach glauben Sie an die Institution Ehe.“
„Sie etwa nicht?“ Sie betonte es als Frage, obwohl sie die Antwort kannte.
Und wie erwartet kam ein bitteres Schnauben über die wunderschönen Lippen. „Nein, ganz bestimmt nicht.“
Das konnte sie ihm nicht verübeln. Denn sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie ihn unten bei den Docks gefunden hatte, am Boden zerstört von den Worten seiner Mutter.
Du warst ein Fehler.
Amber war mit der Gewissheit aufgewachsen, dass ihre Eltern sich innig liebten, genau wie sie sie innig geliebt hatten. Ihr Vater war gestorben, als sie noch ein Kind gewesen war, und ihre Mutter hatte nie wieder geheiratet, weil sie über den Verlust des geliebten Mannes nie hinweggekommen war. Außerdem verdiente Amber sich ihren Lebensunterhalt damit, indem sie mit jedem Tag, mit jeder Kundin bewies, dass die Liebe existierte.
Parker jedoch …
Nun, Parkers Erfahrungen standen in krassem Kontrast dazu. Der Junge, der Amber den ersten Einblick in die romantische – wenn auch unerwiderte – Liebe gegeben hatte, war zu einem Mann herangewachsen, der nur Spott und Häme für die Liebe übrig hatte.
„Hochzeiten sind Ihr Geschäft, da müssen Sie an die Ehe glauben“, meinte er.
„Und daraus folgern Sie, dass ich nicht Ihr Typ bin? Wegen des Kleids, das ich trage, und wegen der Art, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene?“
Er lehnte sich ein wenig zurück und musterte sie, und als er wieder sprach, fehlte der spöttisch-provozierende Ton, doch seine Augen schienen ihr bis in die Seele sehen zu können. „Nein, nicht deshalb.“ Er schüttelte den Kopf, seine Miene war nachdenklich. Zum ersten Mal sah er sie wirklich an, dann zuckte er mit den Schultern. „Es ist das Schimmern in Ihrem Blick. Sie glauben noch immer.“
Ihre Lungen hatten Mühe, ihren Dienst zu vollrichten. Glauben? Woran? An die Liebe?
An das Leben?
Der Gedanke verflüchtigte sich, als Parker näher rückte und der Duft seiner Lederjacke die Luft zwischen ihnen füllte.
„Ich komme nicht drauf, wer Sie sind.“ Sein Blick ließ sie nicht los. „Können Sie einem armen Mann nicht einen kleinen Tipp geben?“
„Na gut.“ Nachdem sie Parker, den Teenager, jahrelang angehimmelt hatte, wollte sie es möglichst lange auskosten, dass Parker, der Mann, sie wie eine begehrenswerte Frau ansah. „Sie haben einmal Ihren Mund auf meinen gepresst.“
„Faszinierend.“ Seine Stimme glitt wie Seide über ihre Haut. „Ich muss sagen, ich kann mich nur zu meinem Geschmack beglückwünschen.“
Seine funkelnden Augen fachten eine Glut an, die Amber längst gelöscht geglaubt hatte – jene Glut eines jungen Mädchens, das die ersten erotischen Reaktionen ihres Körpers erlebte, ohne das volle Ausmaß dessen, was sie fühlte, zu verstehen.
Das herausfordernde Lächeln hätte ausgereicht, um den Weihnachtsbaum am Rockefeller Center zu erhellen.
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