Julia Festival 94
stieg, war sie so blass und angespannt, dass Alexio fürchtete, sie würde bei der geringsten Berührung wie hauchdünnes Glas zerbrechen.
„Fühlst du dich nicht gut?“, fragte er in der absurden Hoffnung, sie möge wirklich krank sein. Krankheit würde alles erklären und es ihm leichter machen, mit der Situation fertig zu werden.
„Doch“, erwiderte Ione stockend und umfasste den Griff ihres kleinen Handkoffers fester.
Alexio sah sie einen Moment unschlüssig an und nahm sie dann ohne Vorwarnung auf die Arme. Sie stieß einen Schrei aus, als fühlte sie sich bedroht, und erst ein Blick in seine dunklen Augen brachte sie zu sich.
„Was tust du?“
„Ich trage dich über die Türschwelle.“
„Warum tust du das?“
Ione hielt krampfhaft den Koffer fest, aus dem ein Stück buntes Band heraushing. Alexio erkannte es sofort – es war Edwards Band. Von allen Bären, die sie besaß, hatte sie ausgerechnet seinen mitgenommen. Das machte ihm Mut, in einem Augenblick, in dem er nicht mehr aus noch ein wusste.
„Es ist eine englische Sitte, und deine Mutter war Engländerin.“
Die Erwähnung von England genügte, um Ione erstarren zu lassen. Mochten ihre leibliche Mutter und ihre Adoptivmutter auch Engländerinnen gewesen sein – alles, woran sie bei dem Wort denken konnte, war die Flucht, die sie noch für diesen Abend geplant hatte.
Alexio trug Ione über die Türschwelle und setzte sie im Flur ab. Sie hatte sich bisher keine rechte Vorstellung von dem Haus machen können, aber die kühle, dabei elegante Atmosphäre ließ sie sofort an späten Jugendstil denken. Ein prächtiger Artdéco-Tisch stand in der Mitte, mit einem üppigen Strauß weißer Lilien darauf.
„Ich hoffe, dass man uns zum Dinner erwartet“, meinte Alexio und öffnete die Tür zum Esszimmer, das in dem gleichen Stil eingerichtet war.
Schon bei der Erwähnung von Essen drehte sich Ione der Magen um. Immerhin blieben ihr nur noch zweieinhalb Stunden, um wieder zum Flughafen zu kommen.
„Ich würde mich vorher gern frisch machen“, stieß sie mühsam hervor, ohne Alexio anzusehen.
Er führte sie nach oben in das eheliche Schlafzimmer, das streng möbliert und mit grünen und mattgoldenen Pflanzenmotiven ausgeschmückt war. Ione konnte nicht länger zweifeln. Alexio hatte das Haus nach Crystals Tod völlig neu dekorieren lassen.
„Soll ich auf dich warten?“, fragte er und nahm Ione mit sanfter Gewalt den Koffer aus der Hand. „Komm, sieh mich an.“
Er küsste sie lange und innig, bis sie alles vergaß, was sie eben noch bedrückt hatte. Das lockende Spiel seiner Zunge, sein Duft, der ihr inzwischen so vertraut war, der Druck seines Körpers … das alles benebelte ihre Sinne.
Ione verstand sich selbst nicht mehr. Sie begehrte Alexio, wie sie nie einen Mann begehrt hatte. Es widersprach aller Vernunft und aller Vorsicht, aber sie konnte nichts dagegen tun. ihre Brüste fühlten sich plötzlich irgendwie schwer an, das Blut floss schneller durch ihre Adern, und alles in ihr verlangte nach Hingabe.
„Ich erwarte dich unten.“ Alexio hatte sie losgelassen und betrachtete ihr glühendes Gesicht. Unverhülltes Verlangen lag in seinem Blick.
Ione wich zurück, bis sie mit dem Rücken die Wand berührte, die ihr Halt gab. Sie wollte nicht, dass Alexio ging. Er sollte bleiben. Sie sah ihn an, als hätte er sie verzaubert, aber gleichzeitig erfasste sie Angst vor sich selbst. Wie war es möglich, dass ein Kuss, eine Berührung von ihm genügten, sie in eine andere Frau zu verwandeln? Eine Frau, die sie bisher nicht gekannt hatte?
Sie brauchte all ihren Willen und ihre ganze Selbstbeherrschung, um sich von ihm abzuwenden. Ich verdiene einen besseren Mann, rechtfertigte sie sich. Eine echte Ehe, kein kalkuliertes Abkommen, bei dem ich nur das Mittel zum Zweck bin.
Plötzlich wusste Ione, dass sie aus einem doppelten Grund nicht bleiben durfte. Wenn sie blieb und den Versuchungen ihres Körpers nachgab, würde sie sich in Alexio verlieben, und damit wäre die Hoffnung auf ein eigenes Leben und das wahre Glück für immer dahin.
Ein so erfahrener und impulsiver Mann wie Alexio würde leichtes Spiel mit ihr haben. Sie hatte keine Erfahrung mit Männern, das traurige kleine Erlebnis mit Yannis zählte kaum. Was sie zurzeit erlebte, war nichts anderes als sexuelle Neugier und der erste Ansturm ihrer erwachenden Sinnlichkeit.
Sie durfte nicht vergessen, wer Alexio wirklich war: ein mächtiger griechischer Tycoon, der durch die
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