Julia Festival 94
immerhin eine Gakis, aber während der Trauungszeremonie hatte sie sich wie eine frühe christliche Märtyrerin verhalten, die ihrer Hinrichtung entgegenging.
Bei dem anschließenden festlichen Lunch wurden mehrere Reden gehalten. Danach trat eine berühmte einheimische Sängerin auf, sodass sich kein weiteres Gespräch zwischen den Brautleuten ergab, Ione spürte eine zunehmende Kälte auf Alexios Seite. Das hätte sie eigentlich begrüßen müssen, weil es ihren Absichten entgegenkam, aber aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht damit abfinden. Immer häufiger versuchte sie, einen Blick von ihm aufzufangen, und am Ende wurde der Wunsch, die Situation zu bereinigen, übermächtig.
„Ich habe dir noch gar nicht für das Collier und den Teddy gedankt“, sagte sie halblaut.
„Ich verlange keinen Dank“, antwortete Alexio kurz angebunden.
„Du hast kein Geschenk von mir bekommen. Ich habe nicht daran gedacht“, fuhr Ione fort und fragte sich, warum sie überhaupt versuchte, ein so fruchtloses Gespräch zu führen.
„Dafür habe ich dich bekommen, nicht wahr?“
Alexio blickte in Iones grüne Augen und erschrak über die innere Qual, die daraus sprach. Voller Unbehagen erinnerte er sich an ihr Versprechen, alles zu sein, was er sich wünschen würde. Eine fröhliche Braut konnte sie nicht sein, darin hatte sie sich schon überschätzt. Auch ihr Verhalten vor den Gästen ließ zu wünschen übrig, denn im Umgang mit Menschen fehlte ihr jede Erfahrung. Wessen Schuld war das – ihre eigene oder die ihres Vaters?
Minos hatte seine Tochter nicht an Menschen gewöhnt, und seit Stunden wurde sie angestarrt, nur weil sie die Erbin eines riesigen Vermögens war, die kaum jemand kannte und über die kaum jemand etwas wusste. Kein Wunder, dass sie in der Kirche so verschreckt gewesen war und auch jetzt so wenig Selbstbewusstsein zeigte. Sie brauchte Ermutigung und keinen Tadel.
Alexio nahm ihre Hand. „Dies ist ein besonderer Tag“, versuchte er sie zu ermuntern. „Wir wollen ihn genießen.“
Ione sah ihn dankbar an. Sie hörte kaum, was er sagte, aber seine große, warme Hand wirkte wie die Versicherung, dass es zwischen ihnen weder Kälte noch Entfremdung gab. Ione war so erleichtert darüber, dass ihr beinahe schwindlig wurde.
Alexio bemerkte die Veränderung in Iones Gesicht. Ihre Augen wurden größer, in die Wangen kehrte die Farbe zurück, und die vollen rosigen Lippen öffneten sich wie zu einem Lächeln. Mochte er auch kein Zauberer sein – endlich sah sie ihn wirklich wie eine erwartungsvolle Braut an. Sie neigte sich sogar näher, und er musste ihre Hand loslassen, um sie daran zu erinnern, dass sie nicht allein waren.
„Später, agápi mou“, versprach er leise.
Kurz darauf tauchte Petros auf. Er nahm Ione bei der Hand, zog sie von ihrem Stuhl hoch und führte sie auf die Tanzfläche. Die Musikkapelle begann auf sein Zeichen hin eine traditionelle Hochzeitsmelodie zu spielen, zu der die Gäste einen doppelten Kreis um die Braut bildeten und im Rhythmus der Musik mitklatschten.
Alexio war ebenfalls aufgestanden und reihte sich klatschend in den inneren Kreis ein. Sein Blick schien mit Iones zu verschmelzen, und seine Nähe war ihr Trost und Ansporn zugleich. Nie war er ihr schöner erschienen als in diesem Augenblick. Schöner, edler und großzügiger, denn er trug ihr ihr ungeschicktes Verhalten nicht nach. Wie hätte er auch wissen können, warum sie so verkrampft und schweigsam war? Iones Gewissen meldete sich wieder, aber sie achtete nicht darauf und konzentrierte sich ganz auf Alexio. Er machte es ihr leicht, alles andere zu vergessen.
Als alle Gäste die Braut vorschriftsmäßig umkreist hatten, nahm Alexio sie in die Arme und begann, mit ihr zu tanzen. Kalliope zerschmetterte einen Teller auf dem Fußboden und ermunterte die Ehrengäste, dasselbe zu tun. Alexio verzog das Gesicht bei dem Lärm, dann sah er, wie seine elegante Mutter Kalliopes Beispiel folgte, und musste lachen.
„Sehr traditionell“, flüsterte er Ione zu.
Sie barg ihr glühendes Gesicht an seiner Schulter, denn das Zerschmettern von Porzellan bedeutete Glück und Beständigkeit in der Ehe.
Alexio bog ihren Kopf leicht zurück. „Da alle gerade so schön beschäftigt sind …“
„Ja?“ Ione blickte ihm wie gebannt in die dunklen Augen. Die lauten Stimmen und das Klirren des zerschlagenen Porzellans drangen kaum noch an ihre Ohren. Nur ihr Herz schlug überlaut.
„Ich möchte meine Braut küssen.“
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