Julia Festival 94
Alexio tanzte mit ihr hinter eine Marmorsäule des großen Ballsaals. „Und ich hoffe, dass meine Braut diesen Wunsch erwidert.“
Mit unerwarteter Leidenschaft suchte er Iones Lippen. Sie wollte sich wehren, aber gegen diesen Ansturm, gegen diese überlegene Männlichkeit hatte sie keine Chance. Heftiges Verlangen stieg in ihr auf und verdrängte alle anderen Empfindungen. Ohne es zu merken, schmiegte sie sich in Alexios Arme, bis sich ihre Körper ganz berührten. Als sie spürte, wie erregt er war, stöhnte sie lustvoll auf und suchte noch engeren Kontakt zu ihm.
So heftig, wie der Kuss begonnen hatte, endete er auch. Alexio stieß Ione mit einem unterdrückten Ausruf zurück. Sein Gesicht war gerötet, und die dunklen Augen hatten ihren klaren Blick verloren. Trotzdem erkannte er, wie blass Ione war und wie sehr sie der kurze, leidenschaftliche Ausbruch erschüttert hatte.
„Es tut mir leid“, sagte er benommen. „Habe ich dir wehgetan?“
Ione schämte sich zu sehr, um ihn anzusehen. Sie schüttelte nur den Kopf und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Was musste er von ihr denken, nachdem sie ihn vor allen Gästen so schamlos ermutigt hatte? Er konnte nichts dafür. Männer waren unfähig, einer Versuchung zu widerstehen, deshalb erwartete man das von den Frauen. Wie hatte sie so die Kontrolle über sich verlieren können? Warum hatte sie nur noch an die Befriedigung ihrer Lust gedacht?
„Entschuldige mich“, flüsterte sie und lief weg, um eine Weile allein zu sein.
Alexios Vater hatte die Szene zufällig beobachtet und kam langsam näher. „Ich sollte mich vielleicht nicht einmischen …“
„Warum tust du es dann?“
„Weil Ione ein schüchternes, unschuldiges Mädchen ist … keine der Frauen, mit denen du dich sonst abgibst.“ Sanders Stimme klang ernst und vorwurfsvoll. „Du solltest sie mit mehr Achtung behandeln.“
Ione hatte sich zur Bibliothek geflüchtet, aber sie zögerte hineinzugehen, denn es drangen Stimmen durch die angelehnte Tür.
„Ione ist so fade … der arme Alexio!“, beklagte sich ein Mädchen. „Diese Ehe ist eine Katastrophe. Wahrscheinlich glaubt mein Bruder, dass er nach Crystal nie wieder eine Frau lieben kann, aber Ione wird ihn rasch langweilen, und am Ende wird er sich eine Geliebte nehmen.“
„Mehr als eine, wie ich deinen Bruder kenne“, erklärte eine andere kichernd. „Unter den heutigen Gästen sind mindestens vier Exfreundinnen von ihm!“
Das Mädchen, das zuerst gesprochen hatte, war Delphia, Alexios jüngste Schwester, die andere musste eine Freundin von ihr sein, Iones Tante hatte sich erst vor Kurzem bei Alexio nach der fünfzehnjährigen Delphia erkundigt, die das Nesthäkchen der Familie war. Alexio hatte etwas beschämt gelächelt und zugegeben, dass Delphia von allen entsetzlich verwöhnt würde.
Fade?, dachte sie jetzt. Nun ja. An einem Tag, an dem sie zu den Hauptpersonen gehörte, hatte sie sich keine Mühe gegeben, ihr bescheidenes Äußeres zu verändern, aber schon heute Abend würde sie aus der Larve schlüpfen und wie ein Schmetterling die Flügel entfalten. Dann würde niemand mehr die alte Ione Gakis in ihr erkennen!
Und was Delphias Prophezeiung betraf … Ione lächelte verächtlich. Kinder waren noch nie gute Wahrsager gewesen. Hätte sie die Absicht gehabt, verheiratet zu bleiben, wäre ihr das von Delphia angekündigte Schicksal allerdings kaum erspart geblieben. Alexios Geliebte wären gekommen und gegangen, und sie hätte mit dem zufrieden sein müssen, was ihr blieb. Sie kannte die Gepflogenheiten der Gesellschaft, die nur nach dem Schein urteilte. Ihre eigene Mutter hatte ein Leben lang weggesehen, wenn ihr Mann sich außerehelichen Freuden hingab.
Doch das waren alles müßige Erwägungen, denn sie hatte nicht die Absicht, verheiratet zu bleiben. Ja, wenn Alexio sie geliebt hätte! Der Gedanke faszinierte Ione, obwohl sie sich Träumereien verboten hatte. Männer verstanden nun einmal wenig von der Liebe, und Alexio Christoulakis verstand am wenigsten davon. Dafür hatten es ihm die Frauen zu leicht gemacht.
Crystal Denby war die einzige Ausnahme. Ihre körperlichen Vorzüge und ihre extravagante Art waren eine Herausforderung für Alexio gewesen, die er schließlich mit einem Verlobungsring beantwortet hatte. Aber Chrystal lebte nicht mehr, und es blieb fraglich, ob Alexio sie wirklich geheiratet hätte. Er war Grieche und benahm sich ganz danach: Die Frau, die er heiratete, musste unberührt sein.
Auch
Weitere Kostenlose Bücher