Julia Festival Band 0105
sie und betrachtete unauffällig ihren Mann. Doch der verzog keine Miene.
Die Hochzeitssuite bestand aus einem kleinen, unscheinbaren Wohnzimmer mit Schreibtisch und Fernsehgerät und einem wesentlich größeren Schlafzimmer, ausgestattet mit einem breiten Doppelbett, das mit einem weißen Satinüberwurf bedeckt war, auf dem ein riesiges rotes Herz prangte.
Trotz ihrer Anspannung hätte Cally am liebsten laut gelacht. Hier sollte sie also ihre Hochzeitsnacht verbringen? Eigentlich war geplant gewesen, die Flitterwochen auf den Virgin Islands zu verbringen. Das schien jedoch in einem anderen Leben gewesen zu sein, als sie noch naiv genug gewesen war, romantischen Träumen nachzuhängen, statt sich mit Tatsachen auseinanderzusetzen.
„Deine Reisetasche steht hier.“ Der Klang von Nicks Stimme versetzte Cally wieder in die Gegenwart. „Zum Badezimmer geht’s durch die Tür da. Du findest mich im Wohnzimmer, wo ich mir einen Absacker genehmigen und die Nachrichten durchgehen werde, die für mich eingegangen sind. Ich werde etwa zwanzig Minuten brauchen.“ Er lächelte kühl. „Möchtest du auch etwas trinken?“
„Nein, danke.“ Sie hatte also zwanzig Minuten Aufschub.
Nick schloss die Tür hinter sich, und Cally war vorübergehend allein.
Sie setzte sich aufs Bett und sah sich um. Ob es eine Möglichkeit gab zu entkommen? Die Klimaanlage surrte, daher waren die Fenster wahrscheinlich hermetisch abgeriegelt und boten keine Fluchtmöglichkeit.
Ich sitze in der Falle, dachte Cally nervös und begann zu beben. Nick würde auch sicher nicht auf der Couch im Wohnzimmer schlafen oder ihr, Cally, erlauben, die Nacht dort zu verbringen. Es führte wohl kein Weg daran vorbei: Sie würde das Bett mit ihrem Mann teilen müssen. Nicht nur diese Nacht, sondern …
Cally mochte gar nicht daran denken, was ihr noch bevorstand. Wenigstens wusste sie jetzt, warum Nick sie geheiratet hatte: Weil sie jung war und er ein Kind von ihr wollte. Die Frau, die er wirklich liebte, konnte ihm offensichtlich keine Kinder schenken. Bei dem Gedanken an die andere Frau empfand Cally wieder tiefen Schmerz.
Sie versuchte, ihre Gefühle zu unterdrücken, immerhin war sie nicht mehr das naive Mädchen von vor einem Jahr, das sich eingebildet hatte, Nick Tempest zu lieben, sondern hatte sich entschlossen, auf sein Geschäft einzugehen. Denn genau das war es: ein Geschäft – nicht mehr und nicht weniger.
Ich stehe in seiner Schuld und muss jetzt bezahlen, dachte Cally. Sie schwor sich, während ihrer „Geschäftsbeziehung“ keine Fragen zu stellen, wohin Nick ging, woher er kam, mit wem er zusammen gewesen war. Und auf gar keinen Fall würde sie ihn je wieder beschatten …
Sie stand auf, ging zum Gepäckständer und zog den Reißverschluss ihrer Reisetasche auf. Das sündhaft teure Nachthemd, das sie ein Jahr zuvor gekauft hatte und das ihren romantischen Vorstellungen von einer Hochzeitsnacht entsprochen hatte, lag ungetragen obenauf. Mit bebenden Händen schüttelte Cally das edle Hemd aus Chiffon und Spitze aus.
Alle Sachen in der Reisetasche waren unbenutzt, auch die hübsche bestickte orangefarbene Kulturtasche, die sie samt Nachthemd mit ins Badezimmer nahm. Aus der Dusche kam nur ein spärliches Rinnsal. Cally trocknete sich mit einem der winzigen Hotelhandtücher ab und schlüpfte dann ins Nachthemd.
Als sie es vor einem Jahr gekauft hatte, hatte es ihre schlanke Figur betont und sie sehr verführerisch aussehen lassen, doch jetzt hing es an ihr herab, weil sie so dünn geworden war.
Auch egal, dachte Cally. Schließlich wollte sie ja gar nicht, dass Nick sie attraktiv fand. Er stand auf schöne Frauen. Daraus hatte er nie ein Geheimnis gemacht. Vor einem Jahr bin ich sogar aufgeblüht und war fast schön, dachte Cally. Aber jetzt?
Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück und holte die Sachen heraus, die sie am nächsten Tag anziehen wollte: frische Wäsche und ein zartgelbes wadenlanges Kleid mit eckigem Ausschnitt und angeschnittenen Ärmeln.
Als die zwanzig Minuten fast vergangen waren, legte Cally sich widerwillig in das große Bett – und zwar so dicht an die Kante wie möglich – und machte das Licht aus. Sie lag auf der Seite, hielt die Augen geschlossen und versuchte, tief und regelmäßig zu atmen. Vielleicht nahm Nick ihr ab, dass sie schlief.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, als Nick schließlich leise das Zimmer betrat und auf Zehenspitzen ins Badezimmer ging. Wenig später wurde die Dusche betätigt.
Cally
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