Julia Festival Band 0105
damals empört reagiert. Aber vielleicht hatten sich die Worte deshalb in ihr festgesetzt – wie so viele von Linnets kleinen Sticheleien. Eigentlich hatte Linnet unwissentlich Chessie und Alastair zusammengebracht.
Wie Chessies Vater war auch Sir Robert Markham seit mehreren Jahren verwitwet gewesen. Im Ort hatte man allgemein geglaubt, dass seine Wahl – sollte er je wieder heiraten – auf Gail Travis fallen würde, die das hiesige Tierheim leitete und ihn bei etlichen gesellschaftlichen Ereignissen begleitet hatte.
Aber eines Abends war ihm auf einem Wohltätigkeitsball Linnet Arthur begegnet, eine Schauspielerin, die bis dahin ihren Lebensunterhalt mit gelegentlichen Modeljobs, Nebenrollen in Seifenopern und als Moderatorin von nachmittäglichen Quizshows bestritten hatte. Dank ihrer blonden Mähne, endlos langen Beine und verführerischen Figur war Linnet für die Ziehung der Tombolalose engagiert worden. Und schlagartig hatte Mrs. Travis der Vergangenheit angehört.
Nach einer geradezu peinlich kurzen Werbung hatte Sir Robert Linnet geheiratet und sie auf sein Anwesen Wenmore Court gebracht. Das allgemeine Entsetzen über die Hochzeit hatte sich noch nicht gelegt, als er eine Gartenparty gab, um seine Gattin den Nachbarn zu präsentieren. Alastair hatte wie versteinert im Hintergrund gestanden und war schockierter als alle anderen gewesen.
Er war während des Nachmittags verschwunden. Chessie hatte ihn unter einem Baum am Flussufer sitzend vorgefunden, wo er Steine ins Wasser warf. In der Annahme, er wolle allein sein, hatte sie sich diskret zurückziehen wollen, doch sein zorniger und zugleich verzweifelter Gesichtsausdruck hatte sie daran gehindert.
Mit seinen einsachtzig, dem dunkelbraunen Haar und atemberaubend attraktiven Äußeren war der um drei Jahre ältere Alastair schon immer Chessies Schwarm gewesen.
„Es tut mir so leid, Alastair.“ Sie wusste selbst nicht, woher sie den Mut nahm, ihn anzusprechen.
Er blickte kummervoll zu ihr auf. „Wie konnte er nur, Chessie? Wie konnte er bloß dieses … dieses Flittchen den Platz meiner Mutter einnehmen lassen? Verdammt, Chessie, sie bringt sogar Flittchen in Verruf!“
Als er bemerkte, dass sie nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken konnte, musste er lächeln. Danach hieß Linnet bei ihnen nur noch „die böse Stiefmutter“, und sie lästerten über die endlos lange Zeit, die sie ihrem Erscheinungsbild widmete, die unglaublichen Tricks, mit denen sie eine Umgestaltung des Hauses anstrebte und die genauso hartnäckig von Sir Robert vereitelt wurden, ganz zu schweigen von ihren aussichtslosen Versuchen, sich als Hausherrin zu etablieren.
„Gott sei Dank gehe ich auf die Universität“, erklärte Alastair irgendwann resigniert. „Und ich werde in den Ferien nicht zurückkommen, wenn ich es vermeiden kann.“
Chessie vermisste ihn, als er abreiste, aber ihr eigener Schulunterricht nahm sie in Anspruch, zumal sie sich auf eine Karriere in der Firma ihres Vaters vorbereitete.
Es vergingen drei Jahre, bevor sie sich wiedersahen. Chessie war gerade von einem einmonatigen Aufenthalt in Frankreich zurückgekehrt und gebeten worden, am Antiquitätenstand des alljährlich auf Wenmore Court veranstalteten Kirchenfestes auszuhelfen – einer der wenigen Anlässe, bei denen sich die neue Lady Markham mürrisch zeigte.
Es war ein drückend heißer Nachmittag, und Chessie überlegte, ob sie sich guten Gewissens davonstehlen könnte, um im Fluss zu schwimmen, als plötzlich Alastair auftauchte.
„Du liebe Zeit, Chessie.“ Er lachte, aber in seiner Stimme schwang noch ein anderer Unterton mit. „Ich hätte dich kaum wiedererkannt.“
Ihr stockte der Atem. Ich hätte dich überall wiedererkannt.
Es war, als wäre ihr ganzes Leben auf diesen einen wunderbaren, unvergesslichen Moment zugesteuert.
„Ich rufe dich an“, sagte Alastair unvermittelt.
Sie nickte stumm, aus Furcht, ihre Freude allzu offen zu zeigen.
In den ersten Wochen nach dieser Begegnung waren sie praktisch unzertrennlich. Chessie hatte die Schule beendet und brannte darauf, ab September mit ihrem Vater zusammenzuarbeiten, und zwar als seine persönliche Assistentin – eine höfliche Umschreibung für den Job einer Bürobotin.
Alastair würde, wie sie beide vermuteten, das Gleiche tun und den väterlichen Betrieb für Elektronikbauteile von der Pike auf kennen lernen.
Das Wetter war traumhaft, ein herrlicher Tag ging in den nächsten über, und Chessie verbrachte viel Zeit auf
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