Julia Festival Band 0105
für uns beide viele Probleme lösen würden.“ Seine blauen Augen hoben sich strahlend von der dunklen Sonnenbräune seines hageren Gesichts ab. „Also, Miss Lloyd, sind Sie bereit, Ihren Stolz zu opfern und mein Angebot zu akzeptieren?“
Sie ignorierte den spöttischen Unterton in seiner Stimme. „Ich kann mir Stolz nicht mehr leisten, Mr. Hunter. Nicht mit einer jüngeren Schwester, für deren Erziehung und Ausbildung ich sorgen muss. Ich bin Ihnen für den Job und die Unterkunft sehr dankbar. Wir werden versuchen, Sie nicht zu stören.“
Er griff nach dem Ordner, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und signalisierte damit, dass das Gespräch beendet war. Als sie sich erhob, fügte er hinzu: „Ich lasse meine Anwälte die erforderlichen Miet- und Arbeitsverträge aufsetzen.“
Das war alles gewesen. Chessie war mit Jenny in die frühere Wohnung der Haushälterin gezogen und musste dafür eine lächerlich geringe Miete zahlen, solange sie für Miles Hunter arbeitete.
Damals war sie wie betäubt vor Kummer und Schuldgefühlen über den Tod ihres Vaters gewesen. Die Offerte war ihr wie ein Rettungsring vorgekommen, und sie hatte zugegriffen.
Heute, im Nachhinein, fragte sie sich, ob sie es hätte ablehnen und sich mit Jenny fernab aller Erinnerungen und alter Bekannter niederlassen sollen. Doch dann hätte sie kurz vor einem wichtigen Prüfungsjahr eine neue Schule für ihre Schwester suchen müssen, und es hatte ihr ferngelegen, neuen Aufruhr in Jennys Leben zu bringen.
Anfangs schien es sich gelohnt zu haben. Jenny hatte sich gefangen und würde bald auf die Universität wechseln. Obwohl sie mit einem Stipendium rechnen durfte, waren damit unzählige Extraausgaben verbunden.
Chessie würde also gezwungen sein, in den kommenden Jahren weiterhin Miles Hunters spannende Thriller in den Computer zu übertragen und seinen Haushalt mit der Präzision eines Uhrwerks zu führen, wie er es verlangte.
Und das war keine leichte Aufgabe. Wie sie bereits bei der ersten Begegnung vermutet hatte, war er kein besonders umgänglicher Arbeitgeber. Er legte höchste Maßstäbe an und wurde schnell sarkastisch, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt wurden. Ein Heer rasch wechselnder Putzfrauen konnte das bestätigen.
Während Chessie sich außerhalb der Arbeitszeit strikt auf ihr eigenes Reich beschränkt hatte, war Jenny nicht immer so vernünftig gewesen.
Sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass Silvertrees’ neuer Besitzer nichts weiter als ein Eindringling in ihrem Heim war, als das sie das Anwesen noch immer betrachtete, was mehr als einmal zu einer Konfrontation geführt hatte. Irgendwann hatte sie den Spitznamen „das Ungeheuer“ für Miles Hunter geprägt.
Von plötzlicher Rastlosigkeit getrieben, ging Chessie zum Fenster.
Jenny konnte mitunter erschreckend engstirnig sein. Zugegeben, der Ruin ihres Vaters und sein baldiger Tod waren für sie zutiefst traumatisch gewesen, doch dies war keine Entschuldigung mehr. Das Mädchen weigerte sich hartnäckig, den Zusammenbruch seines komfortablen, umhegten Daseins zu akzeptieren.
Ich habe mich damit abgefunden, warum kann sie es nicht auch?, dachte Chessie.
Und jetzt kehrte Alastair zurück, und Jenny hielt es für ein Omen, dass sich ihre Verhältnisse auf wundersame Weise zum Besseren wenden würden.
Chessie seufzte leise. Ach, könnte sie nur einmal wieder so jung und optimistisch sein. So wie früher, als Alastair und sie zusammen gewesen waren und die Zukunft ihnen zu gehören schien.
Für eine erste Liebe war es ziemlich idyllisch gewesen. Ein Sommer voller Spaziergänge und Autofahrten, Badeausflügen und Tennismatches – und Alastair beim Kricketspiel. Voller Küsse und atemlosem Flüstern. Und Versprechungen. Rückblickend war alles sehr süß und geradezu lächerlich harmlos gewesen.
Alastair hatte sie begehrt. Daran bestand nicht der geringste Zweifel, und Chessie wusste bis heute nicht, warum sie sich gesträubt hatte. Vielleicht war es eine unbewusste Scheu vor dem ersten Schritt gewesen, mit dem sie ihre Mädchenzeit für immer hinter sich gelassen hätte und zu einer Frau geworden wäre. Oder, nüchterner formuliert, die Furcht, dass er lediglich an ihrem Körper interessiert sein könnte. Mit ihrer Hingabe hätte sie ihn womöglich verloren.
„Ein Mann wird dir alles erzählen, wenn er dich in sein Bett locken will, Liebes.“ Linnets zuckersüße Stimme klang ihr noch in den Ohren. „Mach es ihm nicht zu leicht.“
Chessie hatte
Weitere Kostenlose Bücher