JULIA FESTIVAL Band 84
können, wie du aussiehst. Aber ich hatte nichts, kein Bild und keinen Namen. Ich wusste nur, dass ich eine richtige Mutter habe.“
„Nicht Bescheid zu wissen ist schlimm, stimmt’s?“, erwiderte Meredith mitfühlend.
Kimberly nickte. Dann blickte sie Meredith ängstlich an. „Sei nicht böse auf Onkel Anthony. Ich bin froh, dass er es mir gesagt hat, Merry. Jetzt weiß ich, dass ich dir immer viel bedeutet habe.“
„Ich bin ihm nicht böse. Er hat nur gezeigt, dass ihm nicht gleichgültig ist, was geschehen ist. Ich finde es sehr nett, wie er sich um mich sorgt.“ Meredith hielt ihm die Hand hin. „Danke, Anthony.“
Er nahm sie seufzend und streichelte mit dem Daumen den Puls an Merediths Handgelenk. „Eine liebende Mutter hat es verdient. Wie wäre es, wenn du mir die Kamera geben würdest und ich Aufnahmen von dir und Kimberly machte, während ihr unseren Weihnachtsbaum aussucht? Die Fotos würden mir gefallen.“
Lachend reichte Meredith Anthony den Apparat. Sie war erleichtert, weil der Frieden wiederhergestellt war, aber so richtig entspannen konnte sie sich nach diesem Vorfall nicht mehr. Es beunruhigte sie, dass Anthony wegen einer solchen Kleinigkeit so wütend geworden war. Wie sehr würde er sich erst aufregen, wenn sie ihm die Wahrheit sagte? Es war Heiligabend. Meredith wollte das Weihnachtsfest nicht verderben. Vielleicht war es doch ratsam, die Vergangenheit noch nicht aufzurühren. Wenn sie wartete, bis ihre Beziehung noch enger und vertrauter war, würde Anthony die ganze tragische Geschichte möglicherweise besser aufnehmen.
Oder würde es alles nur schlimmer machen?
Wie konnte sie weiter mit ihm intim sein, wenn sie Geheimnisse vor ihm hatte? Ihm etwas so Wichtiges vorzuenthalten war keine gute Basis für eine enge Beziehung.
Meredith grübelte darüber, wie sie sich entscheiden sollte, während Kimberly und sie einen großen, herrlich gewachsenen Baum auswählten. Sie nahmen die Tanne in die Mitte, und Anthony knipste sein Foto. Dann bezahlte er den Baum, und sie trugen ihn zu dritt nach Hause.
Wie eine ganz normale Familie am Heiligabend. Nur dass zwei von uns das nicht wissen, dachte Meredith.
Trotzdem war es ein wundervolles Gefühl, zusammen mit den Menschen, die man liebte, das Fest vorzubereiten. Jeder sollte die Weihnachtszeit so erleben. Meredith war sich all die Jahre lang immer schmerzlich bewusst gewesen, wie es hätte sein können, wenn Anthony damals nicht aus ihrem Leben verschwunden wäre. Wie oft war sie deprimiert gewesen, wenn sie gesehen hatte, wie andere Frauen mit Geschenken beladen durch die Straßen gelaufen waren. Sie hatte ihrem Kind niemals etwas kaufen können. In diesem Jahr war Meredith begeistert durch die „Pitt Street Mall“ gegangen und hatte schöne Sachen für Kimberly ausgesucht.
Meredith dachte daran, dass es für Anthony und ihre Tochter das zweite Weihnachtsfest ohne Denise und Colin Graham war. Beide würden sich bestimmt traurig an früher erinnern, als sie noch alle zusammen Weihnachten gefeiert hatten. Würde es Anthony und Kimberly helfen, wenn ich ihnen die Wahrheit sagte? überlegte Meredith. Wenn sie wüssten, dass sie drei eine richtige Familie waren? Oder war es anmaßend, so zu denken? Würde sie Erinnerungen verderben, die Anthony und besonders Kimberly viel bedeuteten? Denise und Colin würden für Kimberly immer Mom und Dad bleiben. Sie hatte verkraften müssen, dass sie adoptiert worden war, und sie hatte gerade ihre leibliche Mutter kennengelernt. Durfte Meredith sie auch noch damit konfrontieren, dass der Onkel in Wirklichkeit ihr Vater war? Oder würde sie die Zwölfjährige dann völlig überfordern?
Plötzlich fiel Meredith ein, was sie gerade vorhin zu Kimberly gesagt hatte. Nicht Bescheid zu wissen ist schlimm …
Sie musste mit Anthony reden. An diesem Abend noch.
Dann konnten sie beide gemeinsam entscheiden, ob sie es Kimberly erzählen wollten.
14. KAPITEL
Es brachte ihn noch um, nicht Bescheid zu wissen. Zweimal hatte er Meredith jetzt schon beunruhigt, weil er grübelte und angespannt war, anstatt den Tag mit ihr und Kimberly zu genießen. Meredith hatte keine Ahnung, was ihm so zu schaffen machte, doch sie wunderte sich über sein Benehmen. Aber er konnte ja nicht einfach sagen, er glaube, Kimberlys Vater zu sein. Wenn er sich irrte, würde ihn Meredith für verrückt halten. Er wollte nicht ihre Gefühle für ihn verwirren. Trotzdem … er musste Bescheid wissen!
Anthony ging ungeduldig im Wohnzimmer
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