JULIA FESTIVAL Band 95
Jane jetzt bei mir lebt. Ich bin für ihre Sicherheit verantwortlich.“
„Möchtest du, dass sie heute Nacht bei mir schläft?“, fragte John.
Jarrett zog die Augenbrauen hoch. „Sie ist erst neun, John. Ich kann sie nicht allein lassen.“
„Stimmt. Ich bin Arzt. Ich könnte heute Abend hierbleiben. Etwas Ruhe würde mir guttun.“
Johns Ruf war legendär. Sein Haus am Meer hatte schon unzählige Frauen beherbergt. Die meisten waren Hotelgäste, die einen Teil ihres Urlaubs mit ihm verbrachten. Manche gehörten zum Personal. Er machte keinen Hehl daraus, dass er nur eine flüchtige Affäre wollte, und die Frauen schienen damit zufrieden zu sein.
„Anna Jane ist hier sicher genug“, fuhr Jarrett fort. „Du sagtest, die Frau wird morgen transportfähig sein.“
„Alles, was sie braucht, ist eine Nacht Schlaf. Außerdem kannst du inzwischen herausfinden, ob sie eine Betrügerin ist oder nicht“, erwiderte der Arzt. „Wenn sie dich zu täuschen versucht, wirst du sie überführen. Wenn sie echt ist, hast du ein paar Stunden in der Gesellschaft einer hübschen Frau verbracht. Es gibt Schlimmeres.“
„Was wird, wenn sie ihr Gedächtnis wirklich verloren hat?“
„Ich bin nicht sicher. Die Erinnerung kann stückweise oder auf einen Schlag zurückkehren. Das Gehirn ist ein kompliziertes Organ.“ John leerte sein Glas. „Was willst du tun?“
„Ich bin nicht für sie verantwortlich. Frank wird sie morgen früh ins Hotel bringen. Ich bezweifle, dass sie von einer der Nachbarinseln kommt. Bestimmt hat sie Freunde, die sie heute Abend zurückerwarten.“
John stand auf. „Es ist deine Entscheidung. Aber bist du denn gar nicht neugierig, wer sie ist?“
„Warum sollte ich?“
„Eine wunderschöne Frau wird an deinen Privatstrand gespült. Sie weiß nicht, wer sie ist oder woher sie kommt. Wie mysteriös und abenteuerlich.“
Jarrett verzog das Gesicht. „Sie könnte mich verklagen.“
„Du bist völlig unromantisch.“
Stimmt. Er hatte seine Gefühle schon vor langer Zeit abgeschaltet. Das Leben war einfacher, wenn man nichts fühlte. Er verließ sich auf Logik und Tatkraft.
John ging zur Tür. „Ruf mich an, wenn ihr Zustand sich verändert. Vergiss nicht, ihr etwas zu essen zu geben. Du könntest sie zum Essen einladen.“
„Auf Wiedersehen, John.“
John zwinkerte ihm zu. „Du Glückskerl. Warum passiert mir so etwas nie?“
Jarrett sah ihm nach. John kannte seine Vergangenheit nicht, sonst würde er sich wohl kaum wünschen, mit ihm zu tauschen.
Anna Jane blieb vor dem Arbeitszimmer ihres Onkels stehen. Die große Tür stand offen. Sie wollte nicht hineingehen. Sie wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, denn dann würde er ihr böse sein. Vielleicht brauchte sie es ihm nicht zu sagen. Vielleicht würde Leona nichts sagen, und sie könnte einfach …
Nana B. hatte ihr beigebracht, immer ehrlich zu sein. Ihre Kinderfrau hatte ihr oft erklärt, dass es nicht nur darum ging, stets die Wahrheit zu sagen. Es ging auch darum, ein Leben ohne Täuschung und Manipulation zu führen. Anna Jane wusste allerdings noch nicht genau, was Manipulation war.
Sie schluckte schwer, bevor sie behutsam an die Tür klopfte. Ihr Onkel hob den Kopf und sah sie. Er winkte sie herein, und seine ernste Miene entspannte sich einen Moment lang.
„Ich hätte gedacht, du seist bei unserem rätselhaften Gast“, meinte er.
„Die schläft. Dr. John hat gesagt, sie wird wieder gesund. Stimmt das?“
Ihr Onkel nickte. „Das wird sie. Bestimmt hat sie im Hotel Freunde, die schon auf sie warten. Der Direktor wird ihnen sagen, dass es ihr gut geht. Morgen früh können diese Freunde sie abholen.“
Anna Jane zog ein feuchtes Stück Papier aus der Tasche ihrer Shorts und reichte es ihm.
„Sie hat meine Flaschenpost bekommen. Deshalb wollte sie mich finden. Ich bin schuld, dass sie fast ertrunken ist.“
Ihr Onkel überflog die Nachricht, drehte sie um und betrachtete die Karte. „Du hast das hier in eine Flasche gesteckt?“, fragte er.
„Ja“, flüsterte das Mädchen.
Er runzelte die Stirn. „Die Flut hätte die Flasche nach Norden, nicht nach Süden getragen“, bemerkte er nachdenklich. „Wo hast du sie denn ins Meer geworfen?“
„Ich weiß, ich darf nicht allein an den Strand. War ich auch nicht. Ich habe sie in den Teich am Haus geworfen. Bestimmt hat der Bach sie mitgenommen.“
„Das könnte sein. Der Bach fließt nicht ins Meer. Also kann unser rätselhafter Gast nur aus dem Hotel kommen.“
Weitere Kostenlose Bücher