JULIA FESTIVAL Band 95
Er lächelte. „Danke, dass du es mir erzählt hast. Jetzt können wir herausfinden, wer sie ist.“
„Ich wollte niemandem wehtun.“
„Das hast du auch nicht, Anna Jane. Es ist nicht deine Schuld“, versicherte er ihr.
Sie nickte und hoffte, er würde sie in den Arm nehmen. Aber das tat er nicht.
„Kann sie zum Essen nach unten kommen?“, fragte sie.
Das Gesicht ihres Onkels verriet, dass er über ihre Bitte nicht begeistert war, aber er lehnte nicht ab. „Wenn sie kräftig genug ist.“
„Danke“, wisperte sie und wollte gehen. Doch eins musste sie noch wissen. „Warum magst du sie nicht?“
Sein Blick war finster, als er sie ansah. Sie biss sich auf die Lippe und bereitete sich auf einen Wutausbruch vor. Doch ihr Onkel musterte sie nur schweigend. Sie fragte sich, was er in ihrem Gesicht sah. Nana B. hatte immer gesagt, dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich war. Anna Jane wusste, dass das nicht stimmte. Ihre Mutter war so schön gewesen wie die Frauen im Fernsehen.
„Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag“, begann Onkel Jarrett schließlich. „Ich kenne sie nur nicht. Und jetzt, da ich weiß, dass sie deine Nachricht gelesen hat …“ Er verstummte. „Mach dir keine Sorgen, Anna Jane. Es wird alles gut.“
Vielleicht, dachte sie. Wenn jemand alles gut machen konnte, dann war das ihr Onkel. Schließlich war er ein sehr, sehr mächtiger Mann.
Sie rannte aus seinem Zimmer und nach oben. Vielleicht lag es an der vielen Arbeit, dass er immer so böse war. Nana B. hatte ihr erklärt, dass es manchmal schwer war, erwachsen zu sein. Onkel Jarrett war für vieles verantwortlich. Und jetzt auch noch für sie. Das war eine große Verantwortung. Anna Jane hatte einmal gehört, wie ihre Mutter genau das am Telefon sagte.
„Das will ich nicht sein“, flüsterte Anna Jane und ging zu ihrem Zimmer. Unterwegs bemerkte sie, dass die Tür zum Gästezimmer offen stand. Sie ging langsamer. Wie die Frau wohl war? Warum war sie an den Strand gespült worden? Hatte sie wirklich vergessen, wer sie war?
Anna Jane schlich zur Tür und schaute durch den Spalt. Die Fremde saß vor dem Spiegel und starrte hinein. Sie trug einen flauschigen weißen Bademantel. Ihr Haar war offen, und die weich aussehenden, goldblonden Locken fielen auf die Schultern hinab.
Anna Jane tastete über ihr eigenes Haar. Ob es sich anders anfühlte, wenn man goldenes Haar hatte?
„Spionierst du, oder wartest du auf eine Einladung?“, fragte die Frau plötzlich.
Anna Jane zuckte zusammen und trat ein. „Beides“, gab sie zu.
Die Frau drehte sich lächelnd zu ihr um. „Du darfst mir gern Gesellschaft leisten.“
Sie hatte große grüne Augen und einen hübschen Mund. Anna Jane war sicher, dass die Frau sehr schön sein würde, wenn die blauen Flecken erst verschwunden waren. Im Moment war es schwer zu sagen. Über der blassen Stirn verlief ein tiefer Kratzer, und die linke Hälfte ihres Gesichts war dunkel verfärbt.
„Wer bist du?“, fragte die Frau.
„Anna Jane Quinlin.“
„Du lebst hier auf der Insel?“ Sie legte die Stirn in Falten. „Dies ist doch eine Insel, oder?“
Anna Jane nickte. „Sie gehört meinem Onkel.“
„Machst du hier Ferien?“
„Nein. Meine Mutter ist gestorben, und ich musste herziehen.“
„Das tut mir leid. Bestimmt vermisst du sie.“
„Ja, natürlich“, erwiderte Anna Jane automatisch, während sie die rechte Hand hinter dem Rücken versteckte und zwei Finger übereinanderlegte, damit die Lüge nicht zählte. Sie vermisste ihre Mutter wirklich. So, wie sie ihre Lieblingslehrerin oder die Haushälterin vermisste. Aber nicht so, wie die nette Lady dachte. Sie weinte nicht nachts. Die Tränen waren für Nana B. reserviert. Anna Jane wusste, dass es eine Sünde war, Nana B. mehr zu lieben als ihre eigene Mutter, doch sie konnte es nicht ändern.
Sie wollte das Thema wechseln. Ihr Blick fiel auf die Kleidungsstücke auf dem Bett. „Woher kommen die?“
Die Frau seufzte. „Eure Haushälterin hat sie mir gebracht. Ich hatte nur einen Badeanzug und Shorts an, also brauchte ich etwas Neues. Ich weiß nur nicht, was ich mag. Oder was ich früher mal mochte. Es ist alles so verwirrend.“
Anna Jane trat ans Bett. Der Stapel bestand aus Shorts, T-Shirts, Sommerkleidern, Badeanzügen und Nachthemden. Sie zog ein hauchdünnes weißes Hemd heraus. „Das trägt man im Bett“, erklärte sie.
Die Frau lächelte. „Daran erinnere ich mich.“ Sie stand auf und ging zum Bett. Neben dem Stapel
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