JULIA FESTIVAL Band 95
Kannst du mir bei der Untersuchung helfen?“
„Ja, gern.“ Sie folgte ihm ins Wartezimmer.
Eine schlanke Frau mit blasser Haut und kurzem, grau meliertem Haar saß auf der Bank an der Wand. Sie sah müde und abgespannt aus. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Neben ihr saß ein kleiner Mischling mit zottigem Haar und großen Augen. Der Hund zitterte. Kayla hatte das ungute Gefühl, dass sie seine Rippen zählen könnte, sobald sie ihn auf den Arm nahm.
„Mrs. Francis?“, fragte Patrick.
Die Frau nickte.
„Ich bin Dr. Walcott, und das ist Kayla.“ Er nahm neben der Frau Platz und gab Kayla ein Zeichen, sich zu dem Tier zu setzen. „Erzählen Sie mir von der Hündin.“
„Ich weiß nicht sehr viel über sie“, gestand Mrs. Francis. „Seit etwa einem Jahr treibt sie sich in unserer Nachbarschaft herum. Sie ist friedlich und kinderlieb. Hat nie jemanden gebissen, obwohl einige Jungen ihr ganz schön zugesetzt haben. Ich habe sie ein- oder zweimal vor der Bande gerettet.“
„Das war sehr vorbildlich. Die meisten Menschen hätten sich nicht darum gekümmert.“
Die ältere Frau lächelte. „Ich liebe Tiere.“
„Wann wurde die Hündin ausgesetzt?“
„Das kann ich nicht genau sagen. Ungefähr vor einem Monat. Die Besitzer zogen fort und ließen sie zurück.“
„Glauben Sie, dass sie das Tier absichtlich zurückgelassen haben?“
Mrs. Francis verzog den Mund. „Ich habe die Leute nicht gut gekannt, aber was ich über sie gehört habe, klang nicht sehr tierfreundlich.“ Sie streichelte die Hündin. „Ich hätte sie gern selbst behalten. Aber das geht leider nicht.“ Ihre Wangen röteten sich. „Manchmal reicht das Essen kaum für meine Kinder. Außerdem bin ich tagsüber nicht da. Deshalb hoffe ich, dass Sie ein schönes neues Zuhause für sie finden.“
Patrick stellte einige weitere Fragen und machte sich Notizen.
Kayla schluckte. Sie streckte die Hand aus und ließ den kleinen Hund an ihren Fingern schnüffeln. Sein Schwanz schlug aufgeregt an das Plastikpolster der Bank.
Patrick stand wieder auf. „Ich weiß Ihre Bemühungen sehr zu schätzen, Mrs. Francis. Offensichtlich haben Sie den Hund sehr lieb gewonnen, und es fällt Ihnen schwer, ihn abzugeben.“
Die ältere Frau stand ebenfalls auf. „Ja, mag sein“, sagte sie und warf einen kurzen Blick auf das Tier. „Aber ich wollte tun, was nötig ist.“
Patrick legte seine Hand auf ihre Schulter. „Wir werden gut für ihn sorgen. Kayla kümmert sich um alles. Ich bin sicher, dass er in gute Hände kommen wird.“
„Am besten zu einer Familie mit Kindern und einem großen Garten“, ergänzte Kayla. „Dort wird er sich sehr wohlfühlen.“ Sie hob den kleinen Hund auf. Wie sie befürchtet hatte, war jede Rippe zu ertasten. Sie hielt ihn eng an sich und spürte, dass er zitterte.
„Danke, Doktor. Sie sind ein guter Mensch.“ Die Frau streichelte den Hund und ging hinaus.
Kaylas Augen wurden feucht.
Patrick betrachtete sie aufmerksam. „Du wirst doch nicht etwa weinen?“
„Ich hoffe nicht. So etwas geht mir immer furchtbar nahe.“
„Ja, mir auch.“ Er nahm ihr den Hund ab. „Mal sehen, was wir für dich tun können.“
„Du bist wirklich ein feiner Mensch, Patrick. Und außerdem eine äußerst attraktive Partie.“
„Ich glaube dir kein Wort.“
Kayla richtete sich unwillkürlich auf. „Es ist die Wahrheit!“
„Wenn es stimmt, was du sagst: Weshalb hast du dich dann nicht schon vor einigen Jahren in mich verliebt? Bei deiner Kollegin ist das passiert.“
Kayla versuchte, ruhig zu bleiben. Zum Glück hatte Patrick nicht gemerkt, dass es ihr genauso ergangen war. Sie war damals ein blutjunges Mädchen gewesen und er ein reifer Mann. Heute spielte der Altersunterschied keine Rolle mehr.
Das Telefon läutete. Patrick nahm den Hörer ab, und sie nutzte den Augenblick zur Flucht.
„Vergesst nicht: Ihr kennt eure Tiere am besten“, sagte Patrick am nächsten Donnerstag. „Wenn ihr glaubt, dass irgendetwas nicht stimmt, bringt sie zu mir in die Klinik.“
Er blickte durch den vollen Raum. Sie waren in einem Jugendzentrum, und er wollte den Kindern zeigen, wie man die Hunde richtig pflegte. Da die kleine Hündin sich gut erholt hatte und tatsächlich sehr gutmütig war, hatten sie das Tier mitgebracht.
Das Gebäude lag in einem ärmlichen Stadtteil und war beinahe ausschließlich aus Spenden errichtet worden. Verkehrslärm drang von draußen herein. Doch für die Kinder war es ein kleines Paradies.
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