JULIA FESTIVAL Band 95
hatte, war ihm unerträglich. Hastig verwarf er ihn wieder.
Die Vergangenheit ließ sich nicht mehr ungeschehen machen, doch Cole hatte den unbändigen Wunsch, sich zu entschuldigen. Er wusste nur nicht genau wofür. Würde sie ihn verstehen?
„Er hat einen ziemlich bestimmenden Ton.“ Elissa ließ den Brief sinken. „Trotzdem ist er dein Großvater, und du solltest seine Einladung annehmen. Wenn du dich gar nicht bei ihm meldest, kommt die Reue vielleicht zu spät.“
„Kann schon sein. Aber er ist wirklich nicht das, was ich mir unter einer idealen Familie vorstelle. Ich habe mir immer eine Familie wie deine gewünscht.“
„Wie meine?“, fragte Elissa erstaunt. „Wir waren wirklich keine ideale Familie. Meine Eltern haben nur an sich gedacht.“
„Das mag schon sein. Aber kann es etwas Schöneres geben als drei Schwestern, die immer zusammenhalten?“
„Du hast recht. Ich sollte mich wirklich nicht beklagen, wo es nebenan Dutzende von Kindern gibt, die alles dafür geben würden, ein irgendwie normales Zuhause zu haben. Ich beneide dich übrigens auch.“
„Du mich?“
„Ja. Ich beneide dich um deine Ziele.“ Elissa setzte sich auf die Schreibtischkante. „Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und weiß noch immer nicht, was ich mit meiner Zukunft anfangen soll. Ist das nicht schrecklich?“
„Nein, ich würde eher sagen, das ist die Norm. Diejenigen, die ein festes Ziel vor Augen haben, sollten sich glücklich schätzen.“
„Ich würde gern etwas mit Kindern machen“, setzte Elissa ihren Gedanken fort. „Ich könnte mir vorstellen, aufs College zurückzugehen und dort einen entsprechenden Abschluss zu machen. Ich würde …“
Elissas Worte rauschten an Cole vorbei, ohne dass er ihren Sinn begriff. Der Klang ihrer Stimme hypnotisierte ihn. Er ging ihm unter die Haut. Plötzlich erkannte er, was geschehen war. Er hatte Elissa ins Herz geschlossen. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Elissa hielt mitten im Satz inne und sah ihn entgeistert an. „Was ist los? Warum siehst du mich so komisch an?“
Cole konnte den Blick nicht abwenden. Wann war es geschehen? Wie hatte sie es geschafft, die Mauer zu durchbrechen, die ihn vor ihr schützen sollte? „Ich mag dich“, sagte er fassungslos. „Wir sind Freunde.“
„Schön, dass du das auch schon merkst“, erwiderte Elissa und lächelte ihn an. Er hatte dieses Lächeln unzählige Male gesehen, doch zum ersten Mal erreichte es ihn wirklich.
„Ich habe dich eigentlich vorher nicht gemocht. Entweder habe ich dich geliebt, oder ich habe dich gehasst. Einen Mittelweg gab es für mich nicht.“
„Und wie fühlst du dich nun?“
Cole dachte kurz nach. „Gar nicht so schlecht.“
Elissa rutschte vom Schreibtisch herunter, ging zu Cole, der noch immer auf seinem Drehstuhl saß, und beugte sich über ihn. Schon bevor er ihre Lippen auf seinen spürte, wusste er, dass sie ihn küssen würde. Elissa kam immer näher, während er wie angewurzelt sitzen blieb. Ihre Nähe ließ all die guten Vorsätze, sich keine weitere Abfuhr mehr zu holen, in Vergessenheit geraten.
Ihre Lippen berührten seine.
Leidenschaftliches Begehren loderte in Cole auf. Er wollte sie an sich reißen, aber er hatte seine Lektion gelernt. Er tat nichts, ließ sie einfach gewähren.
„Sehr schön“, sagte Elissa und lächelte.
„Ja“, entgegnete Cole. „Schade, dass es nicht immer so war.“ Seine Stimme drückte aufrichtiges Bedauern aus. „Es war nie meine Absicht, dir Angst einzujagen. Ich begehre dich nur so sehr, und dafür kann ich mich nicht entschuldigen. Aufrichtig leid tut es mir, dass ich dich mit meinem ungestümen Verlangen verletzt habe. Ich hätte dir mehr Zeit lassen müssen …“
„Pst.“ Elissa hielt ihm mit sanfter Gewalt den Mund zu. „Keine Entschuldigungen. Von keinem von uns. In unserer Jugend und Unerfahrenheit haben wir beide Fehler gemacht. Aber ich habe manches dazugelernt.“
Der letzte Satz traf Cole mitten ins Herz. Er verzog schmerzlich das Gesicht, und Elissa sprang erschreckt hoch.
„Was ist los? Was hast du denn?“
War das denn nicht offensichtlich? „Wer ist er?“, fragte Cole und wusste gleichzeitig, dass es an Masochismus grenzte, eine solche Frage zu stellen.
„Wen meinst du denn?“, fragte Elissa ahnungslos, als ihr plötzlich ein Licht aufging. „Ach, Cole. Es hat keinen anderen Mann gegeben. Ich verstehe zwar heute viel mehr, aber mein Wissen ist rein theoretisch“, erklärte sie und
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