JULIA FESTIVAL Band 97
Helen an die Reling. Aber es konnte auf keinen Fall ihre Tochter sein. Sie trug ein schwarzes T-Shirt mit einem aufgedruckten Logo und schwarze Baggy-Jeans. Ihr Haar war grün getönt, ihr Lippenstift schwarz, und zahlreiche Piercings zierten ihre Ohren. Der Gegensatz zu Helen hätte nicht größer sein können.
Skata , dachte Milos, während er darauf wartete, dass sie sich den Rucksackreisenden im Teenageralter anschloss, die von Bord gehen wollten. Dies war einer der Momente, in denen er sich wünschte, dass die ganze Insel seiner Familie gehörte und nicht nur ein großer Teil.
Als die Passagiere zur Gangway drängten, beobachtete er, wie das Mädchen mit Helen sprach. Die beiden schienen eine Auseinandersetzung zu haben, bevor sie ebenfalls von Bord gingen.
Nein, es ist sicher eine Reisebekanntschaft, versuchte Milos sich einzureden. Er betrachtete Helens gerötetes Gesicht und fragte sich, ob ihr heiß sei, denn in dem Blazer und dem Rock war sie viel zu warm angezogen. Sie trug das Haar jetzt kürzer, doch sie war noch genauso schlank wie damals. Ob sie ihn erkennen würde? Und war es vermessen von ihm, zu glauben, dass sie sich genauso an ihn erinnerte wie er sich an sie?
Sobald sie seinem Blick begegnete, kannte er die Antwort, denn der Ausdruck in ihren Augen verriet Angst und Abscheu.
„Wer ist das?“
Melissas Worte rissen sie aus ihren Gedanken, und Helen riss sich von Milos’ Anblick los. „Wen meinst du?“, erkundigte sie sich beherrscht.
„Den Mann da.“ Melissa schwang sich ihren Rucksack über die Schulter. „Komm schon, Mum. Er starrt uns die ganze Zeit an. Das ist nicht dein Dad, stimmt’s?“
Nervös lachte Helen auf. „Wohl kaum. Sein Name ist Milos Stephanides. Anscheinend hat dein Großvater ihn geschickt.“
„Ach ja?“ Melissa zog die Augenbrauen hoch und ähnelte dabei so sehr ihrem Vater, dass es Helen einen Stich versetzte. „Und woher kennst du ihn?“
„Oh …“ Helen wollte nicht darüber sprechen. „Ich habe ihn vor Jahren kennengelernt. Dein Großvater hatte ihn gebeten, bei uns vorbeizuschauen, als er geschäftlich in England war.“ Sie befeuchtete sich die Lippen. „Das war vor deiner Geburt.“
„Und er erinnert sich noch an dich?“, fragte Melissa nachdenklich. „Was war zwischen euch? Erzähl mir nicht, dass meine steife Mutter in einen griechischen Arbeiter verknallt war!“
„Nein!“ Entsetzt blickte Helen sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand Melissas Worte gehört hatte. „Und soweit ich weiß, ist er kein Arbeiter. Er ist ein Angestellter deines Großvaters.“
„Was gibt es denn sonst auf einem Bauernhof zu tun?“, meinte Melissa ungeduldig, woraufhin Helen seufzte.
„Es ist kein Bauernhof.“
„Nein, natürlich nicht.“ Ihre Tochter warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Du wirst es mir nicht sagen.“ Dann schnaufte sie verächtlich. „Ich hätte nicht fragen sollen.“
Helen konnte ihr nicht mehr antworten, denn sie standen jetzt auf dem Kai, und Milos kam auf sie zu. Er trug ein leger geschnittenes Hemd und schwarze Chinos, die seine schmalen Hüften und muskulösen Schenkel betonten. Er sieht umwerfend aus, dachte sie unbehaglich. War sein schwarzes Haar etwas länger, als sie es in Erinnerung hatte? Doch er wirkte so erschreckend vertraut, und sein attraktives Gesicht war dasselbe, das sie all die Jahre in ihren Träumen verfolgt hatte.
Am liebsten hätte sie kehrtgemacht und sich schnell wieder auf die Fähre geflüchtet. Ihr war die ganze Zeit klar gewesen, wie riskant es war, hierherzukommen. Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass sie ihm zuerst begegnen würde? Du musst das jetzt durchziehen, sagte sich Helen, und sei es nur, um diesem selbstgefälligen Kerl zu beweisen, dass du über die Geschichte mit ihm hinweg bist und etwas aus deinem Leben gemacht hast.
Obwohl sie hochhackige Pumps trug, musste sie den Kopf ein wenig nach hinten neigen, als sie zu Milos aufblickte. Einen Moment lang schien es, als wäre sie der Situation nicht gewachsen. Dann besann sie sich jedoch auf ihren gesunden Menschenverstand und riss sich zusammen. „Hallo, Milos“, begrüßte sie ihn beherrscht. „Nett von dir, dass du uns abholst. Hat mein Vater dich geschickt?“
Milos ließ sich von ihrem kleinen Seitenhieb nicht beirren. „Niemand hat mich geschickt “, erklärte er mit dem leichten Akzent, an den sie sich so gut erinnerte. „Ich bin schließlich kein Paket.“
Helen presste die Lippen zusammen. Nein,
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