JULIA FESTIVAL Band 97
ihre Gefühle verriet.
„Tu es einfach“, forderte er Melissa erneut auf, woraufhin diese leise fluchte und sich straffte.
„Melissa, bitte“, sagte Helen beinahe flehend.
Schließlich gab ihre Tochter nach. Sie klappte den Sitz nach vorn und warf ihren Rucksack auf die Rückbank, bevor sie selbst einstieg. Als sie dabei mit ihren Turnschuhen die Lehne des Vordersitzes beschmutzte, musste Helen wieder an sich halten.
„Und, bist du jetzt glücklich?“, erkundigte sich Milos.
Helen war alles andere als das, doch dies war nicht der richtige Zeitpunkt, es auszusprechen. Sie war sich deutlich der Gefahr bewusst, die von ihm ausging, und ihrer Unfähigkeit, ihm die Wahrheit vorzuenthalten. Nach der schlaflosen Nacht auf der Fähre hatte der Tag schon schlecht angefangen, und nun war alles noch schlimmer.
Auf sein Zeichen hin stieg sie ebenfalls ein und stellte fest, wie angespannt er war, als er am Steuer Platz nahm. Ob ihm irgendetwas an Melissa aufgefallen war? Und wenn ja, was sollte sie bloß tun?
Da ihr Rock ein wenig hochgerutscht war, konzentrierte Helen sich nun darauf, ihn hinunterzuziehen, während Milos den Motor anließ und Gas gab. Dennoch war sie sich unangenehm seiner Nähe bewusst, der Kraft, die er ausstrahlte, seiner langen Finger, mit denen er damals …
„So einen Wagen will ich später auch mal haben“, verkündete Melissa vom Rücksitz, und Helen überlegte, ob sie die spannungsgeladene Atmosphäre bemerkt hatte.
„Erst mal musst du dein eigenes Geld verdienen“, erklärte Helen.
„Ich könnte mir ja einen reichen Mann suchen“, meinte ihre Tochter ungerührt. „Zum Beispiel einen, der mehr als doppelt so alt ist wie ich.“
Die Anspielung auf ihren Arbeitgeber ließ Helen scharf einatmen. Sie wandte sich an Milos. „Wohnst du auch in Aghios Petros?“
„In der Nähe“, antwortete er nach kurzem Zögern. „Aber ich bin nicht das ganze Jahr auf Santonos. Ich habe auch eine Bleibe in Athen.“
„Tatsächlich?“, fragte sie überrascht. Offenbar bezahlte ihr Vater ihn gut.
Doch er belehrte sie eines Besseren. „Mein Vater besitzt … Schiffe.“
„Schiffe?“, ließ sich Melissa wieder vernehmen. „So wie diesen alten Kahn, mit dem wir von Kreta hergekommen sind?“
„Melissa!“, ermahnte Helen sie, aber offenbar reichte es Milos jetzt.
„Nein, keine Fähren, thespinis “, erwiderte er, wobei er das griechische Wort betonte. „Öltanker. Leider bin ich einer jener reichen alten Männer, von denen du gerade gesprochen hast.“
2. KAPITEL
Auf einer Anhöhe befand sich über terrassenförmig angelegten Weinbergen das Anwesen. Eine lange Auffahrt führte zwischen Zypressen, Olivenbäumen und Tamarisken hindurch zur Villa, die ziemlich groß und mit Wein und Bougainvilleen berankt war.
„Ist es das?“
Melissa beugte sich vor, sodass ihr Ellenbogen sich in Helens Nacken bohrte, und Milos fragte sich, was Sam wohl von seiner Enkelin halten würde.
„Mum!“, rief sie, als Helen schwieg.
„Ja, ich glaube, das ist das Haus deines Großvaters“, sagte Helen schließlich und warf ihm einen Seitenblick zu. „Das sind die Weinberge, nicht?“
„ Ineh … ja“, bestätigte er. „Das ist Ambeli Kouros.“
„Ambeli Kouros?“, mischte Melissa sich wieder ein. „Was ist das?“
„Melissa!“, ermahnte Helen sie, doch seiner Meinung nach war es nur Zeitverschwendung.
„Das bedeutet ‚der Weinberg der Kouros‘“, erklärte er geduldig. „‚Kouros‘ war der Familienname der Frau deines Großvaters.“
Einen Moment lang war Melissa nachdenklich. „Das muss der alte Drachen Maya sein, stimmt’s?“, fragte sie dann.
„Du meine Güte, Melissa …“
Helen wirkte entsetzt, doch Milos war klar, dass ihre Tochter nur ihre Worte wiedergab. „Richtig. Also pass auf. Maya nimmt keine Gefangenen.“
Offensichtlich enttäuscht über seine lässige Reaktion, lehnte sie sich zurück.
„In meiner Familie spricht man nicht gern über Maya“, lenkte Helen ein. „Meine Mutter wollte nicht, dass ich nach Griechenland reise.“
Das überraschte ihn nicht. Sheila Campbell hatte ihn auch nicht gemocht. „Ich schätze, sie vertraut Sam nicht“, sagte er. „Oder sie ist der Ansicht, dass es für einen Neuanfang noch zu früh ist.“
„Seit Richards Tod, meinst du?“ Helen presste die Lippen zusammen. „Nein. Sie … sie findet, ich soll mich wieder binden.“
„Ja, sie will, dass Mum einen Grufti heiratet“, warf Melissa ein, bevor er antworten konnte
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