JULIA FESTIVAL Band 97
– was ihm nur recht war, denn Helens Worte hatten ihn völlig verblüfft. „Mark Greenaway. Er ist mindestens sechzig.“
„Mark ist kein Grufti“, protestierte Helen hitzig. „Und er ist viel jünger.“ Sie warf ihm einen verlegenen Blick zu. „Er ist mein Chef. Er ist Inhaber einer Maschinenbaufirma, und ich bin seine Assistentin.“
„Ach ja?“ Er schaffte es, nur mäßig interessiert zu klingen. „Hat er auch Familie?“
„Er ist verwitwet und hat keine Kinder“, erwiderte sie steif.
„Der Typ ist ein Weichei, und das weißt du auch“, bemerkte ihre Tochter verächtlich. „Hätte Dad gearbeitet, hättest du nie bei ihm angefangen.“
„Das ist nicht wahr!“, entgegnete Helen sichtlich verlegen.
Milos überlegte, warum sie ihre Tochter so einfach damit davonkommen ließ. Es schien, als hätte sie Angst davor, was diese als Nächstes tun würde.
Als ihm bewusst wurde, dass er Helen starr ansah, wandte er schnell den Blick ab. Stieg sie nicht aus, weil sie nervös war, oder wollte sie noch etwas sagen?
Sein Magen krampfte sich zusammen, doch bevor er sich nach dem Grund dafür fragen konnte, brach Melissa das Schweigen. „Steigen wir jetzt aus?“
Daraufhin setzte er eine unbewegte Miene auf und öffnete die Tür.
Als er um den Wagen herumgegangen war, war Helen ebenfalls ausgestiegen. Sein Blick wurde wie magisch von ihren langen Beinen angezogen. „Iseh kala?“ , erkundigte er sich. „Alles in Ordnung?“
„Interessiert es dich denn?“, konterte sie und gab damit zum ersten Mal ihre Gefühle preis. „Interessierst du dich überhaupt für andere? Vergiss es, Milos. Es ist zu spät, so zu tun, als hättest du ein Gewissen.“
Milos wollte etwas erwidern, wurde allerdings von Melissa abgelenkt, die gerade über den Sitz nach vorn kletterte.
„Stört es Sie?“, fragte sie. „Ich möchte raus. Und ihr steht im Weg.“
Melissas unmögliches Benehmen verblüffte ihn so sehr, dass er nur Helens Hand nahm und sie beiseite zog. Sofort befreite Helen sich aus seinem Griff.
„Fass mich nicht an!“, sagte sie, wurde jedoch zu seiner Erleichterung von ihrer Tochter übertönt, die sich im selben Moment lautstark bei ihm bedankte.
Man hatte ihnen zwei Zimmer im hinteren Teil der Villa zugewiesen. Die hohen Decken, die hell gefliesten Böden und die dunklen Holzmöbel schufen eine angenehm kühle Atmosphäre. Ein Balkon, auf dem weiß gestrichene Stühle und ein eben solcher Tisch standen, lud zum Verweilen ein, und in der Ferne ging die hügelige Landschaft in die Küstenebene über.
Was für eine Aussicht, dachte Helen und verschränkte die vor Nervosität noch immer feuchten Hände im Nacken. Es war schlimm genug gewesen, Milos wiederzusehen, doch die Begegnung mit Maya, der zweiten Frau ihres Vaters, hatte sie auf eine harte Probe gestellt. Diese hatte ihnen unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass Melissa und sie hier im Gegensatz zu Milos nicht erwünscht waren.
Was Helen allerdings am meisten schockiert hatte, war die Tatsache, dass ihr Vater arbeitete. In seinen Briefen hatte er ihr den Eindruck vermittelt, dass es ihm sehr schlecht gehe und er sie noch einmal sehen wolle, bevor er …
Nein, dass er im Sterben lag, hatte er nicht behauptet.
„Was meinst du?“ Melissa war an der Tür erschienen, die ihr Zimmer mit Helens Suite verband. Sie wirkte ungewohnt unsicher. „Bleiben wir hier, oder husten wir ihm was und nehmen die nächste Fähre zurück?“
„Melissa!“, ermahnte Helen sie, aber nur halbherzig, da sie sich nicht sicher war, ob sie bleiben sollten.
„Na ja, begeistert bist du nicht gerade.“ Melissa deutete auf Helens Koffer. „Du hast noch nicht einmal angefangen auszupacken.“
„Und du?“
Als Helen herumwirbelte, sah sie, wie Melissa das Gesicht verzog. „Ich mache einfach meinen Rucksack auf, nehm die paar T-Shirts und Jeans raus und stopfe sie in die Schubladen.“
Helen presste die Lippen zusammen. „Du hast nur T-Shirts und Jeans mitgebracht?“ Wenn sie daran dachte, wie optimistisch sie gewesen war, was diese Reise betraf! Sie hatte es nicht nur für ihren Vater, sondern auch für sich und Melissa getan. Momentan pflegte ihre Tochter keinen besonders guten Umgang, und dies war eine willkommene Abwechslung.
Helen ging zu einer Kommode, auf die eines der Hausmädchen ein Tablett mit Kaffee und Limonade gestellt hatte. „Möchtest du etwas trinken?“
„Ja.“ Langsam kam Melissa auf sie zu. „Was ist los?“
„Die Frage ist
Weitere Kostenlose Bücher