JULIA FESTIVAL Band 97
wie dicht und lang die dunklen Wimpern waren, die ihre grünen Augen umrahmten. „Okay, Sie hatten recht, und ich habe mich geirrt. Was machen wir jetzt?“
„Wir?“, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.
„Ich meine, was soll ich jetzt machen?“, korrigierte sie sich leicht verlegen. „Ich kann nicht wer weiß wie lange hierbleiben. In zehn Tagen fängt die Schule wieder an.“
„Für Marco auch“, stellte Raphael frustriert fest. „Was hat Ihre Schwester denn gesagt, als sie Ihnen die Schlüssel zur Galerie übergeben hat? Hat sie erwähnt, wann sie zurückkommt?“
Tess seufzte. „Wir haben uns gar nicht gesehen.“ Sie legte die Hände in den Nacken. Dabei rutschte ihr Top hoch.
Unwillkürlich betrachtete er ihre nackte Taille und stellte sich vor, wie weich und zart ihre Haut sich anfühlen würde. Dann nahm er sich zusammen. „Sie haben sich nicht gesehen?“, wiederholte er. „Das verstehe ich nicht.“
„Ashley hat mich angerufen“, erklärte Tess. „Sie hat behauptet, ihre Mutter sei krank, und mich gefragt, ob ich sie für einige Tage in der Galerie vertreten könne. Angeblich war sie besorgt und wollte so rasch wie möglich nach England fliegen. Die Schlüssel hat sie beim Hausmeister hinterlegt.“
„Demnach sind Sie aneinander vorbeigeflogen.“
„So kann man es nennen. Ashleys Mutter und ich leben in verschiedenen Landesteilen.“
„Ah ja.“ Er nickte. „Deshalb konnte sich Ihre Schwester ziemlich sicher sein, dass es nicht herauskommen würde.“
„Vermutlich.“ Tess schüttelte den Kopf. „Ich finde es unglaublich, dass sie gedacht hat, niemand würde etwas merken. Ich hätte nur aus irgendeinem Grund Andrea, ihre Mutter, anzurufen brauchen.“
„Aber das haben Sie nicht getan.“ „Nein.“ Sie zuckte die Schultern. „Ashley weiß, dass Andrea und ich uns nicht besonders nahe stehen.“
„Sie waren doch offenbar noch ein kleines Kind, als Ihre Mutter gestorben ist.“ Raphael ärgerte sich sogleich über seine Taktlosigkeit. „Hat sich die zweite Frau Ihres Vaters nicht um Sie gekümmert?“, fügte er hinzu.
Tess schüttelte wieder den Kopf. „Andrea war schon immer etwas … wehleidig. Sie wäre damit überfordert gewesen, zwei kleine Kinder zu versorgen. Ich bin bei der Schwester meiner Mutter aufgewachsen. Sie war unverheiratet und auch Lehrerin.“
Andrea Daniels scheint genauso gefühllos und egoistisch zu sein wie ihre Tochter, dachte er. Tess tat ihm leid. „Man hat uns beide hereingelegt“, stellte er sanft fest. „Schade, dass Ihre Schwester kein Handy hat. Marco hat seins ausgeschaltet.“
„Ashley hat doch eins“, rief Tess aufgeregt aus und lächelte. „Wieso habe ich daran nicht gedacht?“
Raphael fand ihr Lächeln viel zu verführerisch. Er atmete tief aus. „Haben Sie die Nummer?“
„Natürlich.“ Tess lief in das Büro und kam wenige Sekunden später mit einem Zettel in der Hand zurück. „Hier, das ist sie. Wollen Sie sie anrufen?“
Plötzlich waren sie so etwas wie Verbündete. Auch Tess wollte jetzt wissen, wo ihre Schwester war. Er durfte sich jedoch nicht mit ihr anfreunden, denn sie würde im Zweifelsfall zu ihrer Schwester halten.
„Wenn Sie möchten, spreche ich mit ihr“, antwortete er höflich. „Aber vielleicht wäre es besser, Sie würden es tun. Wenn sie meine Stimme hört …“
„Ja, stimmt.“ Tess wusste, was er meinte. Sie ging wieder ins Büro und erschien wenig später mit enttäuschter Miene. „Ashley hat das Handy auch ausgeschaltet.“ Sie seufzte. „Es sieht so aus, als hätten Sie recht gehabt. Was wollen Sie jetzt machen?“
„Ich werde wahrscheinlich weitersuchen“, erwiderte er. „Zwischen Porto San Michele und Genua gibt es viele Urlaubsorte. Vielleicht hat Ihre Schwester am Flughafen ein Auto gemietet. Es wird jedenfalls nicht leicht sein, die beiden zu finden.“
„Hm.“ Nachdenklich befeuchtete sie sich die Lippen, und er beobachtete sie fasziniert. „Informieren Sie mich, wenn Sie Ashley gefunden haben?“
Raphael war sich noch nicht sicher, ob er Tess wiedersehen wollte. Sie war viel zu jung für ihn und zu verletzlich. Obwohl sie älter war als ihre Schwester, war sie nicht so erfahren wie Ashley. Aber weshalb machte er sich so viele Gedanken? Tess hatte nicht gefragt, ob sie sich wiedersehen würden, sondern wollte nur über den Aufenthaltsort ihrer Schwester informiert werden.
„Ja“, versprach er ihr und durchquerte den Raum. An der Tür blieb er stehen und drehte
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