JULIA FESTIVAL Band 98
würde es schon reichen, mit ihm im selben Raum zu sein. Sie war nur drei Tage verreist gewesen, aber irgendwie war ihr die Zeit viel länger vorgekommen. Sie hatte sich gefreut, nach Hause zu kommen, aber erst Gage würde dieses Gefühl perfekt machen.
Es ist doch gar nicht dein Zuhause, ermahnte sie sich rasch. Du bist nur vorübergehend in Possum Landing, und du wirst dieses Haus verkaufen.
Sie ging zum Fenster hinüber und spähte hinaus in die Nacht. Es gab so viel, was sie ihm gern erzählt hätte. Ihr Einstellungsgespräch war wirklich gut verlaufen. Sie hatte nicht nur den Rektor der Schule getroffen, sondern auch schon einige Lehrer kennengelernt. Und am zweiten Tag hatte eine nette Frau im Sekretariat ihr verraten, dass die Dinge sehr gut für sie ständen. Alles lief großartig, und deshalb wollte sie Gage sehen und mit ihm feiern.
„Wo bist du nur?“, fragte sie laut, ließ den Vorhang fallen und lief weiter hin und her. Gerade als sie glaubte, das Warten nicht länger aushalten zu können, hörte sie, wie ein Wagen in die Einfahrt fuhr.
Kari rannte zur Tür hinaus und über die Veranda die Treppe hinunter. Je schneller ihre Schritte wurden, umso schneller schlug auch ihr Herz.
Als Gage aus dem Wagen stieg, hatte sie ihn fast erreicht. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen und …
Dann drehte er sich um, und sie sah sein Gesicht im Schein der Verandalampe. Sie blieb so abrupt stehen, als ob sie gegen eine Wand geprallt wäre. Etwas war passiert. Sie sah es in seinen Augen. Etwas sehr Schlimmes. Etwas, das ihn bis ins Mark getroffen haben musste.
„Gage?“
Er sah sie mit ausdrucksloser Miene an. Statt etwas zu sagen, schüttelte er nur den Kopf und ging auf das Haus zu.
Kari zögerte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich folgte sie ihm in sein Haus, das dem ihrer Großmutter so ähnlich war.
Der gleiche Eingangsbereich, die gleichen Treppen, nur dass hier alles renoviert und modernisiert war. Sie bemerkte indirektes Licht, neue Parkettböden und geschmackvolle, gemütliche Möbel, bevor sie ihre Aufmerksamkeit Gage zuwandte, der zu einem Schrank am anderen Ende des Wohnzimmers hinübergegangen war. Er holte eine Flasche Whisky heraus, goss sich ein Glas halb voll und trank es mit zwei großen Schlucken aus, bevor er sich auf die Couch fallen ließ.
„Bedien dich, wenn du etwas trinken möchtest“, sagte er tonlos.
Sie sah, wie er sich erneut Whisky eingoss, einen großen Schluck nahm und dann das halb leere Glas auf den Couchtisch stellte. Schließlich lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
Furcht stieg in ihr auf. Statt sich einen Drink zu nehmen, ging sie zur Couch und setzte sich neben ihn.
„Möchtest du darüber reden?“, fragte sie vorsichtig, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Geht es allen gut? Deiner Mom? Quinn? Hast du schlechte Nachrichten von ihm bekommen?“
Er öffnete die Augen und sah sie an. Seine braunen Augen waren noch dunkler als sonst. Er sah unendlich elend und verlassen aus.
„Niemand ist gestorben“, erwiderte er trocken. „Zumindest niemand, der nicht schon vorher tot war.“
Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Aber wie konnte sie ihm helfen, wenn sie das Problem nicht kannte? Oder doch? Immerhin hatte er sie nicht aufgefordert zu gehen.
„Ich war bisher nur ein Mal in meinem Leben richtig wütend“, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme. „Ich bin natürlich hin und wieder wütend wie jeder andere Mensch auch, aber ich rede von diesem ohnmächtigen Zorn, der so gewaltig ist, dass er dein Inneres zu verbrennen scheint.“
Sie sah ihn erstaunt an. Er wirkte gar nicht wütend, sondern eigenartig versteinert und leer.
„Und wann war das?“, fragte sie.
„Als du mich verlassen hast.“
Sie zuckte zusammen, als ob er sie geschlagen hätte.
„Es ist die Wahrheit. Ich habe deinen Zettel bestimmt Hunderte von Malen gelesen, und dann bin ich rausgegangen und habe mich volllaufen lassen. Ich entschied mich, dir nachzufahren und dich aus diesem verflixten Bus herauszuholen. Ich wollte dir sagen, was ich von dir halte. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so verletzt und wütend gewesen.“
Sie schluckte. „Und was hast du dann gemacht?“
„Betrunken, wie ich war, kam ich von der Straße ab und landete in einem Graben. Glücklicherweise habe ich niemanden verletzt. Mein Wagen hatte einen Totalschaden, aber ich
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