JULIA FESTIVAL Band 98
Schätze darin aufbewahrt. Sie besaß es, solange er sich erinnern konnte. Warum wollte sie es jetzt wegwerfen?
Sie muss sich vertan haben, dachte er, holte kurz entschlossen das Kästchen heraus, warf den Beutel in den Mülleimer und schloss den Deckel dann wieder. Als er eilig die Verandatreppe hinauflaufen wollte, um es seiner Mutter zurückzubringen, stolperte er. Das Kästchen rutschte ihm aus der Hand, fiel auf den Boden, und sein Inhalt fiel auf die Treppen. Gage fluchte leise und schaute auf die herumliegenden Fotos.
Als er sich bückte, sah er, dass es Jugendfotos seiner Mutter waren. Wie hübsch sie gewesen ist, dachte Gage, während er die Bilder aufsammelte. Da gab es Fotos mit Ralph und ihrer Familie. Einige davon …
Gage runzelte die Stirn, als er sich die Bilder genauer ansah. Es waren Fotos seiner Mutter mit einem Mann, den er nicht kannte. Zuerst dachte er, dass diese Bilder vor ihrer Heirat aufgenommen worden waren, doch dann bemerkte er den Ehering an ihrer Hand. Der Mann hatte den Arm um sie gelegt und schaute sie an, als ob sie mehr als Freunde wären. Der Mann …
Gage sah ihn aufmerksam an. Er war für ihn ein Fremder, und doch kam er ihm seltsam vertraut vor. Gage sah die restlichen Fotos durch und entdeckte auch dort diesen Mann, und zwar stets mit seiner Mutter zusammen.
Und dann wusste er, warum dieser Fremde ihm so bekannt vorkam. Er glich seinem Bruder Quinn. Und wenn er den Mann genauer betrachtete, entdeckte er auch Züge von sich selbst an ihm. Er musste also ein Verwandter sein. Aber wer?
Die Hintertür ging auf. „Ich habe deinen Wagen nicht starten hören“, hörte er seine Mutter sagen. „Ist etwas …“ Sie schnappte entsetzt nach Luft.
Er schaute auf und sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Erschrocken presste sie eine Hand gegen den Mund. Einen Moment hatte er beinahe Sorge, sie würde ohnmächtig werden.
„Mom?“
Sie schüttelte den Kopf. „Du lieber Gott“, flüsterte sie. „Ich hatte sie doch weggeworfen.“
„Ich weiß. Ich sah das Kästchen und dachte, es sei irrtümlich im Mülleimer gelandet.“ Ihr bestürzter Gesichtsausdruck verriet ihm jedoch, dass das nicht so war.
Etwas in ihm wurde eiskalt, und er wünschte sich, dieses Kästchen nie gefunden zu haben. Doch statt feige zurückzuweichen, hielt er ein Foto des Fremden hoch.
„Wer ist dieser Mann?“
Edie schaute Gage verzweifelt an. „Jemand, den ich kannte.“ Sie sprach so leise, dass man sie kaum verstehen konnte.
Gage hatte das Gefühl, durch ein Minenfeld zu laufen.
„Wer ist er? Er sieht aus wie Quinn und hat auch ein wenig Ähnlichkeit mit mir. Ist er ein Verwandter? Vielleicht ein Onkel von mir?“
Er stellte Fragen, obwohl er keine Antwort von seiner Mutter erhielt. Er fragte weiter, weil er Angst hatte, nachzudenken und auf etwas zu stoßen, was er keinesfalls wissen wollte.
Jetzt kam John aus dem Haus. Er warf einen Blick auf die Fotos und zog Edie an seine Seite. „Es ist alles in Ordnung“, murmelte er.
Gages Magen zog sich zusammen. John wusste also mehr als er. Was immer das Geheimnis war, der andere Mann war unterrichtet. Und nun wollte auch Gage es wissen.
„Wer ist das?“, wiederholte er.
Tränen strömten über das Gesicht seiner Mutter, und sie klammerte sich an ihren Verlobten, als ob es um ihr Leben ging. Gage fürchtete sich nur selten, aber jetzt schnürte ihm eiskalte Angst die Kehle zusammen.
„John?“
„Wir sollten erst mal alle ins Haus gehen“, schlug John ruhig vor. „Lasst uns innen weiterreden.“
„Nein. Ich will es jetzt wissen.“
John strich beruhigend über Edies Haar. „Gage, es gab Dinge, die …“ Er hielt inne und seufzte. „Edie, was soll ich tun?“
Gages Mutter sah John an. Er nickte und wandte sich Gage zu.
„Bitte komm herein, Gage. Ich will es dir nicht hier draußen sagen.“
„Ich werde nirgendwohin gehen, bevor ich nicht eine Antwort auf meine Frage erhalten habe. Wer ist dieser Mann?“
John holte tief Luft. „Er ist dein Vater.“
8. KAPITEL
Kari lief im Wohnzimmer auf und ab und blieb zwischendurch stehen, um aus dem Fenster zu schauen. Gage war immer noch nicht zu Hause. Sie wusste, dass er an diesem Abend bei seiner Mutter aß. Und deshalb sollte sie aufhören, wie ein eingesperrter Tiger hin und her zu laufen. Außerdem würde sie auch im Wohnzimmer seinen Wagen hören. Doch Logik half ihr nicht weiter.
Ich will ihn sehen, gestand sie sich ein. Sie wollte mit ihm reden und Witze machen. Ach, ihr
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