JULIA FESTIVAL Band 98
Ihre Miene schwankte zwischen entsetzt und beeindruckt.
„Ich war ein neugieriges Kind.“
„Offensichtlich. Und seitdem?“
„Ich nenne keine Zahlen.“
„Dann sag mir wenigstens die Obergrenze.“
„Weniger als hundert.“
„Mehr als zehn?“
Er seufzte. „Ja.“
„Mehr als …“
„Ich sage dir die Anzahl, wenn du mir sagst, wovor du wegläufst.“
Wie erwartet brachte es sie zum Schweigen. Sie nahm noch einen Bissen Hähnchen. „Es ist nichts Schlimmes.“
Er grinste. „Mir ist klar, dass du in deinem ganzen Leben noch nie was Schlimmes getan hast.“
„Deswegen wird es Zeit, dass ich damit anfange.“
„Tu mir einen Gefallen. Warte damit, bis du mich zu Hause abgesetzt hast. Ich will nicht verantwortlich dafür sein, dass ich dich verleitet habe.“
„Aber wärst du denn nicht richtig gut darin?“
„Wahrscheinlich der Beste. Aber ich habe schon genug Schuld auf mich geladen. Dich auf die schiefe Bahn zu bringen wäre mein Untergang. Damit willst du dein Gewissen sicher nicht belasten, oder?“
„Ich weiß nicht. Darüber muss ich erst nachdenken.“
Aufmerksam verfolgte Haley die Präsentation einer neuen Kosmetikserie im Shopping-Kanal. Sie hatte sich bisher kaum geschminkt, und die Fertigkeit, ihre Augen mit Eyeliner zu betonen, war ihr bisher entgangen. Nun beobachtete sie, wie die farbige Flüssigkeit mit einem schmalen Pinsel aufgetragen wurde. Es erschien ihr so einfach, dass sie am liebsten sofort eine Bestellung aufgegeben hätte. Zwei Dinge hielten sie jedoch davon ab.
Zum einen besaß sie derzeit keinen festen Wohnsitz, da sie nicht plante, in absehbarer Zeit nach Hause zurückzukehren. Zum anderen lauschte sie mit einem Ohr auf Geräusche aus dem Badezimmer.
Trotz ihrer Proteste hatte Kevin darauf bestanden, sich zu duschen. Sie bezweifelte, dass er so lange stehen sollte – und dass er es konnte. Wenn er hinfiel, konnte er sich noch mehr verletzen, und sie war nicht kräftig genug, um ihm wieder auf die Beine zu helfen.
Um sich von ihrer Sorge abzulenken, hatte sie den Fernseher eingeschaltet. Aus demselben Grund hatte sie vorher ihre und Kevins neue, frisch gewaschene Bekleidung zusammengefaltet und in den Schränken verstaut. Die Tätigkeit war ihr seltsam intim erschienen.
Nun, da sie endlich ein Zimmer mit einem Mann teilte, geschah es unter ganz anderen Umständen, als sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte immer angenommen, dass sie nach der Hochzeit die erste Nacht mit einem Mann verbringen würde, und in den letzten Jahren war sie davon ausgegangen, dass dieser Mann Allan sein würde.
Kevin war total anders als Allan, und das machte die Situation seltsam, aber nicht unangenehm.
Das Rauschen des Wassers verstummte, gerade als das Model im Fernsehen Lipliner auftrug. Ein lautes Stöhnen aus dem Badezimmer unterbrach Haleys Überlegung, welcher Farbton ihr am besten gefiel. Abrupt setzte sie sich auf, sank dann wieder zurück auf das Bett. Sie hatte eingewilligt zu warten, bis Kevin sie rief.
Einige Minuten später, als sich endlich die Badezimmertür öffnete, sprang sie auf. „Ist alles in Ordnung?“
„Ich bin immer noch auf den Beinen. Der Verband ist total durchnässt und muss gewechselt werden. Bist du sicher, dass du es schaffst?“
„Absolut.“ Haley schnappte sich das Verbandszeug, das sie schon bereitgelegt hatte, und eilte zum Badezimmer.
„Ich muss dich warnen“, sagte Kevin. „Ich habe mir zwar ein T-Shirt angezogen, aber keine Hose.“
„Kein Problem“, behauptete sie in gelassenem Ton, obwohl ihr Herz pochte. Sie sagte sich, dass sie am Strand schon Männer gesehen hatte, die weniger als Slip und T-Shirt getragen hatten. Allerdings lag das schon seit ihrer Kindheit zurück.
Sie betrat den kleinen Raum. Die Luft dampfte und roch nach Seife und Shampoo. Sie legte das Verbandszeug auf den Rand des Waschbeckens und drehte sich widerstrebend zu Kevin um, der auf der Badewanne saß.
Wie versprochen hatte er sich ein T-Shirt übergezogen. Außerdem hatte er sich ein Handtuch über den Schoß gelegt. Es erleichterte sie, aber gleichzeitig war sie neugierig, was er da wohl verbergen mochte.
Doch es war kein geeigneter Zeitpunkt für solche Dinge. Sie sank auf die Knie und nahm die Schere zur Hand. „Ist dir schwindelig geworden? Sind deine Schmerzen schlimmer?“
„Keine Sorge. Die Schmerztablette, die ich nach dem Essen genommen habe, wirkt schon.“
„Was bedeutet, dass dir schwindelig ist, es dich aber nicht kümmert?“
Er
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