JULIA FESTIVAL Band 98
sie.
Ihr den Kuss zu gestatten hatte sich als Fehler erwiesen. Er hätte seinen Mund halten müssen, in jeder Beziehung. Ein Typ wie er und eine Pfarrerstochter? Das konnte nicht gutgehen.
„Ich vermisse meine Haare“, bemerkte Haley.
Er schreckte aus seinen Überlegungen auf. „Was?“
Sie befühlte ihre kurzen Fransen. „Ich habe mir die Haare abschneiden lassen, als ich von zu Hause weg bin. Es war eine impulsive Entscheidung, die ich jetzt bereue.“
„Manchmal ist es wichtig, die Dinge zuerst zu durchdenken.“
Sie nickte.
Er wusste, dass er nicht fragen sollte. Er wollte es nicht wirklich wissen. „Wie lang waren sie denn?“
„Bis zur Taille. Ich habe meistens einen Zopf getragen.“
Sie redete weiter, aber er hörte nicht zu. Vielmehr stellte er sich vor, wie sie mit langen Haaren aussehen mochte. Er malte sich aus, wie sie nackt auf ihm lag und ihre langen Haare seine Schenkel kitzelten, als sie den Kopf senkte und ihn in den …
„Kevin?“
„Hm?“
„Geht es dir gut? Du wirkst so verkrampft.“
Er schluckte. „Es geht mir großartig.“
„Du hast von deiner Mutter und deinem Bruder gesprochen, aber deinen Dad hast du nicht erwähnt. Lebt er noch?“
Bereitwillig ging er auf den Themenwechsel ein, um nicht länger von Visionen gequält zu werden, die niemals Realität werden konnten. „Ich weiß nicht, wo mein leiblicher Vater ist. Ich weiß überhaupt nicht viel von ihm. Er war wesentlich älter als meine Mom. Sie war siebzehn, als sie von ihm schwanger wurde.“
„Das ist aber sehr jung!“, rief Haley verblüfft.
„Er hat sie überzeugt, dass sie füreinander bestimmt wären, und ehe sie es sich versah, ist sie in seinem Bett gelandet. Das war in Dallas. Er war zur Messe da und ist danach dorthin verschwunden, wo immer er hergekommen war.“
„Und er hat sich nie wieder gemeldet?“
„Richtig.“ Früher einmal hatte jeder Gedanke an seinen leiblichen Vater ihn wütend gemacht, doch er hatte gelernt zu akzeptieren, was nicht zu ändern war. „Leider waren die Eltern meiner Mom nicht gerade verständnisvoll und haben sie rausgeworfen.“
Haley warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. „Wie furchtbar für deine Mom.“
Er nickte. „Eine Freundin hat ihr geholfen. So sind wir in Possum Landing gelandet. Als Nash und ich zwölf waren, haben sich ihre Eltern wieder gemeldet. Sie wollten uns sehen. Mom hat uns die Entscheidung überlassen. Sie hat sich geweigert, mit ihnen zu reden, aber sie wollte uns nicht im Weg stehen.“
„Sie klingt wie eine ganz besondere Frau.“
„Das ist sie. Nash und ich haben beschlossen, dass uns nichts an ihnen liegt, weil ihnen bislang nichts an uns lag.“
„Du hast sie nie gesehen?“
„Nein.“
„Bereust du es?“
„Das nicht.“
„Mein Vater ist Einzelkind“, eröffnete Haley. „Ich habe ein paar Tanten und Cousinen mütterlicherseits, aber sie leben alle in Washington, und deshalb habe ich kaum Kontakt zu ihnen. Ich habe mir immer eine große Familie gewünscht“, schloss sie sehnsüchtig.
„Dann solltest du dir selbst eine zulegen und ein paar Dutzend Kinder kriegen.“
„Zwei oder drei würden mir reichen. Und was ist mit dir?“
„Ich weiß nicht.“
„Du musst doch darüber nachgedacht haben.“
„Warum?“
„Jeder tut das. Es gehört zum Erwachsenwerden.“
„Ein paar wären mir recht, wenn sie nicht nach mir kämen.“
„Warum nicht? Du hast mir ein paar Sachen erzählt, die du in deiner Jugend angestellt hast. So schlimm warst du gar nicht.“
„Woher willst du wissen, was schlimm ist? Nach deiner Vorstellung ist es schon gewagt, fünf Minuten zu spät zur Chorprobe zu kommen.“
„Und nach deiner?“
Eine unschuldige Frau wie dich zu verführen.
„Ich habe einige Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin“, sagte er.
„Was denn?“
„Ich habe ein Auto gestohlen.“
„Echt?“, hakte sie eher beeindruckt als schockiert nach.
Er nickte. „Ich wurde verhaftet, und meine Mom und mein Stiefvater haben mich auf die Militärakademie geschickt.“
„Da du dich von einem Autodieb in einen US Marshal verwandelt hast, kannst du nicht nur Schlimmes getan haben.“
„Mir hat es im Knast nicht gefallen, und die Militärakademie habe ich gehasst. Ein paar Monate lang habe ich mir leidgetan. Dann habe ich erkannt, dass ich es mir verdient hatte, dort zu sein, und mir eine zweite Chance ebenso verdienen müsste.“
„Was du getan hast.“
„Ja, aber es ist nicht so einfach, wie es
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