JULIA FESTIVAL Band 98
lachte.
Sie blickte auf und musterte ihn selbstvergessen. Er hatte sich das feuchte Haar zurückgekämmt. Ein Zweitagebart beschattete sein Gesicht. Er sah verflixt gut aus.
Sie schnitt den Verband auf und erblasste, als sie die offene Wunde sah.
„Haley? Du wirst doch wohl nicht ohnmächtig, oder?“
Ihr Magen verkrampfte sich, aber sie ignorierte es. „Es geht mir gut.“ Es war nur eine Notlüge, die ihr bestimmt verziehen wurde. Sie träufelte etwas von der antiseptischen Flüssigkeit auf die Wunde. Kevin rang hörbar nach Atem.
Schnell, aber sanft legte sie einen neuen Verband an. Dann stand sie auf und reichte ihm den Arm. „Komm, ich helfe dir ins Bett.“
Er protestierte nicht, was ihr bewies, wie schlecht er sich fühlte. Schwer sank er auf die Matratze und streckte sich aus. Haley griff nach der zurückgeschlagenen Decke. Doch bevor sie ihn zudeckte, gestattete sie sich einen raschen Blick.
Seine Beine waren lang und kräftig, seine Hüften schmal. Sein Bauch war flach, und das T-Shirt spannte sich über breiten Schultern.
Als ihr Blick auf sein Gesicht traf, erkannte sie, dass er sie beobachtete. Erschrocken wandte sie sich ab, doch er umfasste ihr Handgelenk und hielt sie fest.
„Es stört mich nicht, wenn du mich ansiehst“, sagte er leise.
Sie drehte sich nicht zu ihm um. „Ich hätte es trotzdem nicht tun dürfen.“
Er ließ sie los, und sie zog die Decke hoch. Als sie weggehen wollte, klopfte er neben sich auf das Bett. „Setz dich zu mir.“
Sie kauerte sich auf die Kante, spürte deutlich, dass ihre Hüfte seinen Körper berührte. Er nahm ihre Hand und verschränkte die Finger mit ihren. Hitze stieg in ihr auf, und ihr Atem beschleunigte sich.
„Erzähl mir von den anderen Männern in deinem Leben“, sagte er.
„Welche anderen Männer?“
„Genau das meine ich. Hast du vorher schon mal einen Mann gesehen?“
Die Frage verwirrte sie. Natürlich hatte sie das. Dann begriff sie. „Oh, du meinst …“ Hätte er nicht ihre Hand gehalten, wäre sie geflüchtet.
„Nackt, Haley. Nackt ist das Wort, nach dem du suchst.“
Sie starrte auf ihre verschränkten Finger und dachte dabei, wie klein und zart ihre Hand in seiner aussah. Statt zu sprechen, schüttelte sie den Kopf.
„Wie hast du bloß das reife Alter von fünfundzwanzig erreicht, ohne einen nackten Mann zu sehen?“
„Sie kommen für gewöhnlich bekleidet in die Kirche.“ Sie riskierte einen Blick in sein Gesicht und sah ihn grinsen.
„Gut gekontert. Und deine Freunde hatten vermutlich Angst, was dein Vater dazu sagen würde, wenn sie ihre Güter zücken.“
Güter zücken? Sie war schockiert und amüsiert zugleich über seine Ausdrucksweise. Hätte Allan je so etwas zu ihr gesagt? Sie konnte es sich nicht vorstellen.
„Haley, du hast überhaupt keine Ahnung, was los ist, oder?“
„Wovon redest du?“
„Genau das meine ich.“ Er blickte sie eindringlich an, und seine dunklen Augen schienen ihr bis in die Seele zu schauen. Mit dem Daumen streichelte er ihren Handrücken auf eine Weise, die ihr den Atem raubte. Der Raum wirkte sehr still. Sie hörte nicht einmal mehr den Fernseher.
Er seufzte. „Das Problem ist, dass ich durch das Schmerzmittel ziemlich groggy bin.“
„So wie ich neulich, als ich betrunken war.“
„Genau. Also sind wir quitt.“
Sie hatte das Gefühl, dass er ihr etwas sagen wollte, aber sie wusste nicht, was es war.
„Willst du mich küssen?“, fragte Kevin.
Sie erblasste schockiert und errötete dann verlegen. Sie versuchte zu atmen und konnte nicht. Sie versuchte aufzustehen, aber kein Muskel rührte sich.
„Ich bin momentan kaum in der Lage, mich zu wehren.“
„Aber du hast doch gesagt, dass du nicht interessiert bist.“
„Das habe ich mit Sicherheit nicht gesagt. Ich habe lediglich klargestellt, dass ich nichts in der Richtung unternehmen werde, und das gilt immer noch. Ich werde dich nicht ausnutzen. Aber das bedeutet nicht, dass diese Beschränkung auch für dich gilt.“
„Oh.“ Sie durfte ihn also küssen? Hier und jetzt? Sie sollte die Initiative ergreifen?
„Ich kann dich bis hierhin denken hören.“
Haley heftete den Blick auf seinen Mund. „Ich habe noch nie einen Mann von mir aus geküsst.“
„Vielleicht gefällt es dir ja.“
Vielleicht, dachte sie und beugte sich langsam, zögernd vor. Kevin schloss die Augen, und das war gut so, denn sie war furchtbar nervös und wollte nicht, dass er sie beobachtete. Kurz bevor sie seine Lippen mit ihren
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