JULIA FESTIVAL Band 98
Nash und er sich so nahegestanden wie zwei Hälften eines Ganzen. Als sie erwachsen geworden waren, hatte sich das geändert. Sie waren eigenständige Persönlichkeiten geworden. Kevin hätte nie gedacht, dass er dieses Band je wieder spüren würde.
Nur war es diesmal anders. Seine Gefühle für Haley waren nicht brüderlich. Sie waren weitaus gefährlicher – vielleicht für sie beide.
„Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass es dir schmecken wird“, verkündete Haley, als sie aus dem Waschraum zurückkehrte und Kevins leeren Teller sah.
Sie hatte am Straßenrand ein Reklameschild für selbst gebackenen Blaubeerkuchen gesehen und darauf bestanden, eine nachmittägliche Kaffeepause einzulegen. Für ein schlankes Ding wie sie aß sie erstaunlich viel. Sie hatte ihren Kuchen mit Eiscreme und Schlagsahne bestellt und bis zum letzten Krümel verzehrt.
„Du hattest recht“, räumte er ein. „Es war wirklich köstlich.“
„Hast du deinen Boss angerufen?“
„Ja.“
„Und?“ Mit großen Augen blickte sie ihn erwartungsvoll an.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich in ein paar Wochen wieder im Dienst sein werde.“
Sie verdrehte die Augen. „Das interessiert mich herzlich wenig. Was hast du zu der Beförderung gesagt?“
„Dass ich interessiert bin.“
Sie strahlte ihn an und griff über den Tisch nach seiner Hand. „Oh, Kevin, ich bin ja so froh. Du wirst wundervoll in deinem neuen Job sein.“
Ein erstaunliches Lob angesichts der Tatsache, dass sie überhaupt nicht wusste, was die Beförderung mit sich brachte. Aber so war Haley nun mal. Aus ihm unerklärlichen Gründen hatte sie volles Vertrauen in ihn.
Sie drückte seine Hand, und die Geste erwärmte ihn im Innern. Seltsam, dass sie ihm bereits nach so kurzer Zeit derart unter die Haut ging. Er wollte sie an sich ziehen und festhalten. Nicht wegen Sex, obwohl er sie immer noch in seinem Bett wollte, aber um das Klopfen ihres Herzens zu spüren. In ihrer Nähe zu sein erschien ihm einfach richtig.
Dieser Gedanke jagte ihm gehörige Angst ein, und daher entzog er ihr die Hand und warf ein paar Geldscheine auf den Tisch. „Wo willst du übernachten?“, fragte er. „Wir könnten bestimmt noch achtzig Meilen schaffen.“
Haley schüttelte den Kopf. „Wir müssen hierbleiben.“
„Warum das denn? So gut war der Kuchen nun auch wieder nicht.“
Sie deutete aus dem Fenster zur gegenüberliegenden Straßenseite.
Er blickte hinaus und sah ein großes, rustikales Gebäude, das als Western-Saloon Honky-Tonk Blues bezeichnet war. Auf einem riesigen Banner wurde ein Talentwettbewerb proklamiert. Dem Sieger wurden Ruhm und Reichtum versprochen – oder zumindest hundert Dollar Preisgeld. Er stöhnte. „Du machst Witze“, sagte er, obwohl er genau wusste, dass es ihr Ernst war.
Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Ich spiele sehr gut Klavier. Ich könnte gewinnen.“
Kevin sank in sich zusammen. Verdammt, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Haley in einem Saloon, die Kirchenlieder vor einer Schar Rowdys spielte.
Die Situation erwies sich als wesentlich schlimmer, als Kevin befürchtet hatte. Der große Parkplatz vor dem Honky-Tonk Blues war bis auf die letzte Lücke gefüllt, und ein beträchtlicher Geräuschpegel drang aus dem Lokal.
„Willst du wirklich da rein?“, fragte er, als er die Eingangstür öffnete.
Ihre Antwort ging unter in dem Lärm, der ihnen entgegenschlug. Dröhnende Musik mischte sich mit lautem Stimmengewirr und schallendem Gelächter. Als sie eintraten, verrenkten sich unzählige Cowboys die Köpfe nach Haley.
Er brauchte sich nicht zu ihr umzudrehen, um sich in Erinnerung zu rufen, dass sie einen Jeansrock trug, der nicht einmal bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte, ein verdammt kurzes, bauchfreies T-Shirt und Sandaletten mit hohen Absätzen, die ihre Beine endlos lang wirken ließen.
Als sich ihr prompt ein großer, schlaksiger Mann näherte, griff Kevin hastig nach ihrer Hand und zog sie an einen Tisch, der gerade frei wurde. „Du kannst es dir immer noch anders überlegen!“, schrie er über die dröhnende Musik hinweg.
Haley schüttelte den Kopf und schaute sich in dem riesigen Raum um. Er folgte ihrem Blick zu der gut besuchten Tanzfläche. Dahinter befand sich die Bühne, auf der eine ganz anständige Band für den Geräuschpegel sorgte. An einer Bar daneben standen die Gäste in Schlangen um Getränke an.
„Hast du schon mal in so einem Schuppen gespielt?“, erkundigte sich Kevin, obwohl er
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