JULIA FESTIVAL EXTRA Band 04
Sie zum ersten Mal hier oben im Norden?“, erkundigte sich Matteo leutselig.
Nicole Redman nickte und blickte zögernd auf. „Ja, abgesehen von dem Vorstellungsgespräch bei Ihrer Großmutter vor einem Monat.“
Der wachsame Ausdruck in ihren Augen verriet Matteo, dass sie vor ihm auf der Hut war. Warum? Was wollte sie verbergen? Betrachtete sie ihn vielleicht als Bedrohung für das bequeme Arrangement mit seiner Großmutter? Er lächelte, um sie in Sicherheit zu wiegen, und fragte bewusst neckend: „Sechs Monate auf dem Schloss … kommt Ihnen das nicht wie Gefängnis vor?“
Sie schien überrascht. „Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf?“
„Nun, Sie werden sich in erster Linie mit der Gesellschaft meiner Großmutter begnügen müssen. Und wenn es für jemand, der es nicht gewohnt ist, auch einen gewissen Reiz haben mag, in einem so romantischen alten Gemäuer zu wohnen, so ist das auf die Dauer kein Ersatz für fehlende Abwechslung“, antwortete er und beobachtete sie aufmerksam.
Sie schwieg einen Moment und begutachtete ihn kritisch. „Sind Sie nicht gern in der Gesellschaft Ihrer Großmutter?“
„Das ist nicht der Punkt“, entgegnete er trocken.
„Nun, zumindest sind Sie gestern nicht zu dem Familienessen gekommen.“
„Richtig. Ich lasse nicht zu, dass meine Großmutter mein ganzes Leben bestimmt, und hatte gestern etwas anderes vor.“ Er überlegte kurz. „Haben Sie es mir übel genommen, dass ich nicht auf Befehl angetreten bin?“
„Ich? Natürlich nicht!“
„Aber Sie sind der Ansicht, dass ich hätte kommen sollen?“
„Nein, ich dachte nur … Sie haben gesagt …“ Nicole verstummte verwirrt.
„Ich habe lediglich überlegt, dass sechs Monate unter einem Dach mit einer achtzigjährigen Dame ‚King’s Castle‘ für eine junge Frau zu einem Gefängnis werden lassen könnten, die an alle Annehmlichkeiten des Großstadtlebens gewöhnt ist.“
Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Tatsächlich finde ich die Gesellschaft älterer Menschen meist viel interessanter als die jüngerer. Alte Leute können aus ihrem großen Erfahrungsschatz schöpfen und haben oft Erstaunliches zu berichten. Ich kann mir nicht vorstellen, mich in Mrs. Valeri-Kings Gesellschaft je zu langweilen.“
Ihr Blick besagte dabei, dass ihr das in seiner Gesellschaft durchaus passieren könnte, was Matteo zu der spitzen Bemerkung provozierte: „Dann wollen Sie sich also für die Dauer dieses Projekts in der Vergangenheit vergraben und ihr eigenes Leben vernachlässigen.“
Sie sah ihn herausfordernd an. „Ich habe Geschichte immer faszinierend gefunden. Man kann sehr viel daraus lernen, und ich betrachte keine Form des Lernens als Zeitverschwendung.“
„Ein sehr akademischer Standpunkt“, konterte er, wobei er sich fragte, was sie wohl aus ihren „Gruselgeschichten“ gelernt hatte. „Es heißt auch, dass sich Geschichte immer wiederholt … Was also lernen wir wirklich daraus? Dass sich die menschliche Natur nie ändert.“
Einen Moment lang blickte sie ihn schweigend und ablehnend an. Sie war zum Angriff bereit. Ebenso wie er. Aber seine Großmutter stand zwischen ihnen und zwang sie, offene Feindseligkeit zu vermeiden. „Sind Sie gegen dieses Projekt?“, fragte Nicole schließlich unverblümt.
„Ganz und gar nicht. Ich denke, im Gegenteil, dass eine solche Chronik für alle zukünftigen Generationen unserer Familie von großem Interesse sein wird“, antwortete er gelassen. „Außerdem glaube ich, dass es meiner Großmutter viel bedeutet, die Geschichte ihres Lebens aufgeschrieben zu sehen … eine Art Testament, das sie vollauf verdient.“
„Sind Sie dagegen, dass ich diese Chronik schreibe?“
Ins Schwarze getroffen! Das musste man Nicole Redman lassen: Sie besaß den Mumm, die Karten auf den Tisch zu legen. „Warum sollte ich dagegen ein?“, gab Matteo die Frage betont harmlos zurück.
„Das weiß ich nicht.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Sie müssen es mir sagen.“
Matteo wechselte die Taktik. „Wie alt sind Sie, Nicole?“
„Achtundzwanzig.“
„Haben Sie gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich?“
„Nein.“
„Sie sind augenblicklich nicht gebunden?“
„Nein.“
„Und halten auch nicht Ausschau nach einer Beziehung?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Warum sollte ich?“
„Nun, ich würde das für eine Frau Ihres Alters als normal ansehen.“
Sie errötete, aber ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten
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