JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
Nein, das glaube ich nicht, dachte sie.
„Dann ist sie vielleicht hier jemandem begegnet“, beharrte Steven.
„Schon möglich. Ich kann mir allerdings nicht denken, dass sie unmittelbar nach ihrem Einzug einen Mann kennengelernt hat und dann gleich mit ihm …“ Aber bei Steven war sie sofort dazu bereit gewesen. Also warum nicht auch bei einem anderen? Julie hatte ihr die Wahrheit über das Haus verschwiegen. Was noch alles? Selina begann sich zu fragen, ob sie Julie überhaupt gekannt hatte. Das Ganze passte einfach nicht zu der Frau, die ihre Freundin gewesen war.
Selina sah Steven ratlos an, aufrichtig bemüht, ihm zu helfen. Sie wollte fair sein, vermochte sich aber beim besten Willen nicht vorzustellen, dass Julie noch einen anderen Mann gekannt hatte. „Können Sie sich denn nicht an irgendetwas in jener Nacht erinnern?“, fragte Selina fast verzweifelt.
„Nein“, bekannte er traurig. „Es schneit wieder.“
„Ja. Es gibt doch solche Tests“, beharrte Selina und machte ein besorgtes Gesicht, „genetische Untersuchungen oder so etwas Ähnliches, die beweisen würden, ob Sie Robbies Vater sind oder nicht.“
„Ja, aber im Moment können wir nichts tun …“
„Nein. Und wer hätte letztes Jahr um diese Zeit gedacht, dass alles einmal so kommen würde. Robbie war ein glücklicher, fröhlicher kleiner Junge. Julies Töpferarbeiten verkauften sich gut, und sie war dabei, sich einen Namen zu machen. Im Februar kam sie ins Krankenhaus, und im September war sie tot.“
„Ja, im September war sie tot“, wiederholte Steven, während er den Vorhang zuzog und sich zu Selina umdrehte. Er blickte sie eine Weile schweigend an und sagte schließlich: „Sie könnten genauso gut hierbleiben, bis Ihre Wohnung in London wieder frei ist. Wann wollte der Mieter ausziehen?“
„Ende März. Ich muss gestehen, damit wäre mir sehr geholfen. Aber was ist mit Ihnen? Was werden Sie tun?“ Denn hier können Sie nicht bleiben, fügte Selina im Geiste hinzu. Sie wäre auf keinen Fall in der Lage, mehrere Wochen mit diesem unbequemen Mann auf so engem Raum zusammenzuleben.
„Man hat mir einen Job angeboten. Ich soll den Bau einer Hängebrücke überwachen, in Nordspanien. Ich kann früher hinfahren, mir eine Wohnung suchen und einige Voruntersuchungen durchführen.“
„Sie bauen Brücken?“, fragte sie neugierig.
„Ja, Brücken, Dämme, was auch immer. Ich bin Bauingenieur.“
„Dann waren Sie deshalb auch in Kanada?“
„Genau. Und davor am Golf.“
„Hatten Sie vor, für immer hier zu wohnen?“
„Nein, ich bin nur hergekommen, um das Haus zu verkaufen. Mir gehört noch ein etwas größeres Haus in der Nähe von Hastings, das mein Vater mir hinterlassen hat. Ich dachte, ich könnte es renovieren lassen und dann dort leben. Mal sehen.“
Ausdruckslos blickte Steven Selina an. „Ich habe keine Lust mehr, in der Welt herumzureisen, ohne zu wissen, wo mein Zuhause ist. Ich könnte auch einen Schreibtischjob annehmen, aber ich weiß nicht, ob mir das Spaß machen würde. In Wahrheit habe ich genug von allem. Und das mit sechsunddreißig Jahren“, sagte er und verzog ironisch den Mund. „Und ich bin müde. Sehr müde!“
Steven fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte Haar, sodass einzelne Strähnen etwas abstanden, und streckte sich. Dann tat er ein paar Schritte auf Selina zu und fasste sie sanft bei den Schultern. „Also, Selina, was würden Sie einem müden und erschöpften Bauingenieur raten?“
„Ich weiß nicht“, meinte sie unsicher und senkte den Blick. Sie war sich seiner Nähe plötzlich allzu bewusst, fühlte die Wärme seiner Hände auf ihren Schultern, bemerkte, wie sich sein Brustkorb vor ihr hob und senkte. „Vielleicht brauchen Sie einfach Ruhe. Aber ich bin wohl kaum die Richtige, um Ihnen zu sagen, wie Sie Ihr Leben gestalten sollen, oder?“
„Nein“, entgegnete er sanft, fast zärtlich.
Selina schluckte. In ihr regten sich widerstreitende Wünsche: Sie wollte von ihm fort, und sie wollte bei ihm bleiben. Verwirrt wich sie zurück.
„Können wir die Dinge nicht vorerst auf sich beruhen lassen“, fragte sie hastig, „und Weihnachten hinter uns bringen, bevor wir irgendwelche Entscheidungen treffen?“
Als Steven nicht sofort antwortete, sah Selina ängstlich zu ihm auf. Sie spürte die knisternde Spannung, die plötzlich zwischen ihnen herrschte, wusste jedoch nicht, was sie tun sollte, um sie zu lösen.
Abwesend blickte Steven sie an. Er schien sie kaum
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