JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
– und für sich selbst. Mit Weihnachten hatte das nichts zu tun.
Es wurde ein schöner Tag, an den Selina in den nächsten trostlosen Monaten sicher gern zurückdenken würde. Wie sie vermutet hatte, spielten Robbie und Steven die meiste Zeit mit der Eisenbahn. Und während Selina die beiden beobachtete, war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Sie schienen zusammenzugehören, auch wenn die Ähnlichkeit zwischen ihnen nicht sehr groß war. Bei dem Gedanken verspürte sie Angst, ein Gefühl, als ob alles, was sie aufgebaut hatte, ins Wanken geriet.
Um fünf konnte Robbie die Augen kaum noch aufhalten, und Selina brachte ihn ins Bett.
„Es war ein herrlicher Tag, danke Selina“, sagte Steven, als sie zurückkam. Er lächelte schelmisch und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
Beide verbrachten einen friedlichen Abend im Wohnzimmer. Sie saßen auf dem Sofa, hörten Radio, plauderten über die Vergangenheit. Als Selina schließlich im Bett lag, ließ sie den Tag in Gedanken noch einmal an sich vorbeiziehen. Das Gefühl, versagt zu haben, war wie weggewischt. Sie fühlte sich glücklich und zufrieden. Die Lücke, die Julies Tod hinterlassen hatte, schien sich langsam zu schließen.
Auch der zweite Weihnachtstag verlief äußerst harmonisch. Selina, Steven und Robbie machten am Nachmittag einen Spaziergang, tollten wie die Kinder herum, warfen Schneebälle, zogen Robbie auf einem notdürftig zusammengebauten Schlitten. Auf dem Heimweg hakte Selina sich bei Steven ein. Wie schön könnte es werden, wenn er bliebe.
Sie sah in Robbies strahlendes Gesicht. Eine normale, glückliche Familie wäre genau das Richtige für ihn. Vater und Mutter, ein Bruder oder eine Schwester vielleicht? Auch Steven wirkte fröhlich. Gingen ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf?
Aber dies war nicht so, wie sich am nächsten Morgen herausstellen sollte …
Nach dem Aufstehen hatte Selina gleich gesehen, dass die Straßen geräumt waren. Unten im Wohnzimmer traf sie auf Steven. Er stand am Fenster und blickte hinaus. Die vertrauliche Nähe der vergangenen Tage schien wie weggeblasen.
Sobald Steven Selina bemerkte, drehte er sich um. Sein Gesicht hatte denselben gleichgültigen Ausdruck wie bei ihrer ersten Begegnung. Noch bevor er den Mund aufmachte, wusste sie, was er sagen würde.
„Ich gehe nach Spanien, um den Weiterbau der Brücke zu überwachen“, verkündete er mit ausdrucksloser Stimme.
„Wann?“
„Heute.“
Selina fragte nicht, warum. Sie wusste es. Steven hatte ihnen in den letzten Tagen etwas vorgespielt, Robbie zuliebe. In Wirklichkeit war er ein Einzelgänger, und an häuslichem Glück lag ihm überhaupt nichts. Sie hatte immer gewollt, dass er geht, aber jetzt, da es so weit war, wünschte sie, er würde bleiben.
Selina brachte keinen Ton heraus und nickte nur. All die Freude, die sie heute Morgen beim Aufwachen empfunden hatte, war verschwunden.
„Kannst du mich nach Rye fahren?“, fragte er.
„Natürlich“, antwortete Selina mit einigermaßen fester Stimme. „Wann möchtest du los?“
„So bald wie möglich. Es hat keinen Sinn, die Abreise hinauszuzögern, nicht wahr?“, entgegnete er matt und sah sie forschend an, als suche er in ihren Augen nach einer Bestätigung.
Verwirrt überlegte sie, was die Frage wohl bedeutete. Tat ihm sein Entschluss plötzlich leid? Aber irgendwann hätten sich ihre Wege sowieso getrennt.
„Nein“, stimmte Selina zu, „es hat keinen Sinn.“
„Du wolltest doch, dass ich gehe und dich in Ruhe lasse?“
Ihr Stolz verlangte, dass sie Ja sagte. Und das hatte Selina auch vor. Doch dann schüttelte sie zu ihrer eigenen Überraschung den Kopf. „Du sagtest …“, begann sie heiser und seufzte. Sie durfte ihn nicht bitten zu bleiben, denn er wollte gehen. „Ich sehe nach, ob das Auto anspringt.“
„Das habe ich schon getan“, entgegnete Steven fast schroff. „Es scheint in Ordnung zu sein. Ich wecke jetzt Robbie und sage ihm Bescheid. Du könntest schon mal anfangen zu frühstücken.“
Mit unbewegter Miene ging Selina in die Küche. Wenige Minuten später kam Robbie mit rotgeweinten Augen herunter. Er schien genauso unglücklich zu sein wie Selina und rührte sein Porridge kaum an. Einen Moment lang verwünschte sie Steven, weil er ihr Leben durcheinandergebracht und Hoffnungen in ihnen geweckt hatte, die sich niemals erfüllen würden.
Viel zu schnell erreichten sie den Bahnhof. Selina wartete mit Robbie im Auto, während Steven sich nach dem Fahrplan
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