Julia Gold Band 0045
Umgebung.
„Wer ist er, Tayi?“, erkundigte Leah sich interessiert.
Tayi lächelte so tiefgründig und geheimnisvoll, wie es nur einer verliebten Frau möglich ist. „Prinz Youssef von Qatamah.“
Sogleich empfand Leah tiefes Mitleid mit ihr, denn eine Heirat mit dem Prinzen kam für Tayi wohl kaum infrage. Leah ließ sich jedoch nichts anmerken und versuchte, erst einmal vorsichtige Hinweise zu geben.
„Natürlich wissen Sie, eine solche Liebe wird eines Tages dazu führen, dass …“
„Ja, ich weiß, ich würde Königin von Qatamah werden. Aber ich habe Sie nicht deshalb um Rat gefragt. Ich habe deutlich gespürt, was er für mich empfindet. Er hat mich mit seinen Blicken gezwungen, ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. Seitdem bin ich überzeugt, dass er mein Schicksal ist.“
Tayi war sich offenbar ihrer Sache absolut sicher. Leah fühlte sich ganz hilflos, und langsam dämmerte ihr, was Tayi sich da zurechtgelegt hatte. Sie glaubte wahrscheinlich, wenn Leah den Scheich für sich hatte gewinnen können, würde sie, Tayi, auch das Herz eines Prinzen erobern können.
„Bitte verraten Sie mir, wie Sie es gemacht haben und welche Kräuter Sie in seine Getränke gemixt haben“, unterbrach Tayi Leah in ihren Gedanken.
„Das kann man nicht mit Kräutern erreichen“, erwiderte Leah.
„Aber Sie werden mir doch helfen“, bat Tayi drängend. „Der Scheich ist zornig auf Qatamah, aber Sie haben ihn glücklich gemacht. Seit dem Tod seiner Frau ist er nie mehr so glücklich gewesen. Wenn Sie ihm vorschlagen könnten …“
Leah brachte es einfach nicht fertig, Tayi die Zuversicht, die ihre Miene widerspiegelte, zu nehmen. „Ja, Tayi, ich werde alles versuchen, was in meiner Macht steht.“
„Sie werden mein Geheimnis nicht verraten?“
„Nein, darauf können Sie sich verlassen.“
Nun umspielte ein Lächeln Tayis schöne volle Lippen. Dann drehte sie sich wieder zum Fenster um und blickte in die Ferne. „Ich spüre es deutlich, es stehen Veränderungen bevor, der Wüstenwind bringt sie mit sich. Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.“ Ihre Worte klangen geheimnisvoll, fast wie eine Prophezeiung.
„Ist das gut oder schlecht?“, fragte Leah neugierig.
„Sowohl als auch. Veränderungen sind unvermeidlich. Und ich werde daran teilhaben.“ Langsam richtete sie den Blick wieder auf Leah, die erstaunt darüber war, wie sehr Tayi sich ihres Schicksals bewusst zu sein schien.
Zufrieden, dass Leah sie offenbar verstand und sich in ihre Situation versetzen konnte, verabschiedete Tayi sich. Sie konnte nicht ahnen, in welche Verwirrung und Hoffnungslosigkeit sie Leah gestürzt hatte. Auch noch viele Stunden später kreisten Leahs Gedanken unentwegt um das, was die andere ihr anvertraut hatte. Warum hat Tayi eigentlich in mir eine Feindin gesehen? Vielleicht weil die Kinder mich so sehr mögen? Oder weil der Scheich mich begehrt? überlegte Leah, ohne eine Antwort zu finden.
Vielleicht glaubte Tayi, der Scheich würde sie, Leah, heiraten, da er sie offenbar nicht gehen lassen wollte. Das ist natürlich mehr als unwahrscheinlich, dachte Leah mit einem Anflug von Ironie. Dennoch war es möglich, dass Tayi diese Vermutung hegte und sich deshalb der ziemlich unrealistischen Hoffnung hingab, den Kronprinzen von Qatamah heiraten zu können.
Gibt es das überhaupt, dass man sich nach einem einzigen innigen Blick in einen Mann so heftig verlieben kann? fuhr es Leah durch den Kopf. Ist es mir etwa genauso ergangen an jenem Nachmittag im Garten in Qatamah, als ich Sharif angeschaut und so etwas wie eine Fügung des Schicksals gespürt habe? Aber Tayi und Youssef …
Youssef war jedenfalls von Tayi sehr beeindruckt gewesen, das hatte er unumwunden zugegeben. Doch die Heirat mit einem Kindermädchen kam für einen Kronprinzen nicht infrage. So schnell wehte auch der Wüstenwind die Veränderungen nicht durchs Land.
Tief in ihrem Herzen wusste Leah, das Versprechen, das sie Tayi gegeben hatte, würde zu keinem Erfolg führen. Mitfühlend wie sie war, konnte sie sich Tayis Enttäuschung schon jetzt gut vorstellen. Dennoch nahm Leah sich vor, mit dem Scheich bei passender Gelegenheit über Tayis Anliegen zu reden, denn versprochen war versprochen.
Später brachte man ihr Nadia und Jasmin zum Englischunterricht, der sich bis zum Lunch hinzog. Sie aßen zusammen und hatten dabei viel Spaß.
Zu Leahs Überraschung holte man sie nachmittags ab und fuhr sie zu einer Mädchenschule in der Stadt, wo sie sich von
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