Julia Gold Band 0045
noch Verstand.“
„Habe ich dich nicht auch viel besser verstanden als du dich selbst?“, fragte er.
„Das bezweifle ich“, erwiderte Leah hitzig.
„Auch wenn die Wüstenwinde Veränderungen ins Land wehen, Leah Marlow, werde ich dennoch das tun, was ich für richtig halte, sowohl was dich und mich betrifft als auch Tayi. Das darfst du nicht vergessen.“
Damit war für Sharif das Thema beendet.
13. KAPITEL
Während der nächsten Tage lernte Leah viel von diesem Land kennen. Da sie sich sowieso für die Einrichtungen und Institutionen interessierte, die Sharif sie zu besichtigen bat, fiel es ihr leicht, alles Wissenswerte darüber herauszufinden. Sie erkundigte sich, welche Ziele man verfolgte und welche Verbesserungen wünschenswert waren.
Leah erkannte, wie schwierig es für die Menschen war, den enormen technologischen Fortschritt im Land anzunehmen und umzusetzen, und wie viel Angst besonders die Älteren hatten, den Wechsel zu akzeptieren und sich mit den unbekannten Neuerungen anzufreunden. Leah entwickelte ein ganz anderes Verständnis dafür, dass man zu viel auf einmal und alles viel zu schnell erreichen wollte. Doch die Ungeduld der jüngeren Leute, ihren Horizont zu erweitern und die Lebensqualität zu verbessern, beflügelte Leahs Fantasie, sodass aus ihrer Stimme helle Begeisterung klang, wenn sie ihre Eindrücke mit Sharif besprach.
Schließlich entdeckte sie auch, dass sie im Bestreben, Sharif glücklich zu machen, für sich einen Lebenssinn fand, der sie zutiefst befriedigte. Außerdem nahm er ihre Vorschläge auf und legte Wert auf ihre Meinung, sodass sie meist gar nicht mehr daran dachte, dass sie eigentlich immer noch seine Gefangene war.
Als Tayi Leah eines Tages nach dem Englischunterricht der Kinder ansprach und auf ihre distanzierte, unauffällige Art wissen wollte, ob Leah mit dem Scheich über ihr, Tayis, Anliegen gesprochen hatte, erklärte Leah einigermaßen zuversichtlich, dass sie daran arbeite. Doch sogleich fühlte sie sich ein wenig schuldig, weil es in Tayis Augen so hoffnungsvoll aufleuchtete. Gut und schön, überlegte Leah, ich wünsche mir natürlich, dass Tayis Liebe erwidert wird, aber wie denkt Youssef darüber?
Vielleicht war es lediglich ein Traum, der sich für Tayi nie erfüllen würde. Dennoch gab Leah die Hoffnung nicht auf, für die junge Frau ein positives Ergebnis zu erzielen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich erschien. Bald schneide ich das Thema wieder einmal an, damit Sharif wenigstens einsieht, wie falsch und unfair es ist, Tayis Gefühle einfach zu ignorieren, nahm Leah sich vor.
Bei dem Pläneschmieden und vor Freude darüber, wie glücklich Sharif nun war, weil sie, Leah, das Leben mit ihm jetzt viel positiver sah, merkte sie gar nicht, wie rasch der eine Monat zu Ende ging, den Sharif für ihren Aufenthalt vorgesehen hatte. Und sie hatte sogar vergessen, dass der Scheich immer noch Rachegelüste hegte, denn genau in dem Augenblick, als sie es am wenigsten erwartete, konfrontierte Sharif sie mit Gefühlen, die ihre Welt bis in die Grundfesten erschütterten.
Kurz nachdem sie von der Besichtigung einer Säuglingsklinik zurückgekommen war, stürmte er in ihre Suite. Dabei schien er vor Energie zu strotzen. Er war so aufgedreht, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Seine Augen strahlten, und in seiner Stimme lag ein triumphierender Unterton, als er ausrief: „Endlich habe ich sie!“
Er lachte vor Stolz und Begeisterung, während er zu einem der Fenster ging und hinausblickte. Seinem Auftreten und Gebaren sah man deutlich an, wie sehr er sich als Herrscher fühlte und seine Macht genoss.
Er hob theatralisch die Arme. „Sie sind in meiner Hand.“ Nun ballte er die Hände zu Fäusten. „Und jetzt müssen sie nach meiner Pfeife tanzen“, erklärte er sichtlich vergnügt.
Nachdem Leah sich von ihrem Erstaunen erholt hatte, bat sie ihn: „Wenn du mir sagst, wovon du redest, kann ich vielleicht deine Begeisterung teilen, Sharif.“
Er lächelte triumphierend. „Prinzessin Samira und dein Bruder sind in meiner Hand.“
„Wie ist das passiert? Hast du sie entführen lassen?“, fragte sie entsetzt.
Bei so viel Unverständnis ihrerseits verzog er spöttisch die Lippen. „Nein. Es war viel einfacher und auch viel subtiler. Sie sind freiwillig gekommen und haben sich als Geiseln angeboten, damit ich dich freilasse.“
Nur mühsam konnte Leah einen verzweifelten Aufschrei unterdrücken. Ihr Vater hatte also das, was sie ihm anvertraut
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