Julia Gold Band 47
Seidennachthemds und des dazugehörenden blauen Satinmantels seufzte Polly unglücklich. Die Bediensteten hatten ihre Koffer ausgepackt und die Kombination auf dem Bett ausgebreitet.
Vor ihrer Abreise hatte Polly sie in einer exklusiven Londoner Wäscheboutique entdeckt und spontan gekauft, um Raschid darin zu überraschen. Die Wirklichkeit aber hatte ihre Träume grausam zerstört. Da Polly jedoch nicht wusste, wo ihre übrige Kleidung war, musste sie die verführerischen Gewänder wohl oder übel anziehen.
Während sie sich auf einer quastenverzierten Ottomane ausruhte, wurde ihr das Essen gebracht. Inzwischen hatte sie die neue Umgebung näher betrachtet. Sie befand sich in Louises Gemächern. Ismeni hatte sich offenbar bemüht, hier möglichst alles unverändert zu lassen. Vergilbte Fotos schmückten den eleganten Schreibtisch, und in einer kleinen Vase befand sich die Rose, die Polly der alten Dame geschenkt hatte.
Beim Aufziehen einer Schublade entdeckte Polly vergilbte Briefe, die mit einer Schleife zusammengehalten wurden. Auf dem Frisiertisch lagen mit einem Monogramm versehene Silberbürsten, die nur darauf zu warten schienen, benutzt zu werden.
Kurz nach neun erschien Ismeni und brachte Polly eine Tasse heiße Schokolade. Mit ihren knochigen Fingern deckte die Alte das Bett auf und strich das rosenbestickte Kopfkissen liebevoll glatt. Als Polly versuchte, mit Ismeni zu sprechen, ließ sie sich nicht darauf ein. Polly musste sich zwingen, in Louises Bett zu steigen. Der Mond schien durch die Jalousien, die geisterhaft anmutende Lichtstreifen auf dem Fußboden entstehen ließen. Eine unheimliche Stille senkte sich über Polly.
Zwanzig Minuten später schlug sie energisch die Decke zurück und stand auf. Warum sollte sie Ismenis verrückte Scharade mitmachen? Die Alte würde sicher nicht merken, wenn sie, Polly, in einem anderen Bett übernachtete. Die fast greifbare Allgegenwart der unglücklichen Louise bedrückte Polly.
Als sie den Raum verlassen wollte, wäre sie fast über Ismeni gestolpert, die in eine Decke gehüllt vor der Tür schlief. Die Alte riss die Augen auf, und ein erkennendes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Mühsam richtete sie sich auf und verbeugte sich, als hätte sie einen Befehl erhalten, dann ging sie mit schlurfenden Schritten über den dunklen Korridor davon.
Nach kurzem Zögern folgte Polly der Alten. Ismeni durchquerte den Grottenraum und verschwand im Schatten, wo sie eine Tür öffnete und Polly eintreten ließ. Sie konnte eine schmale gewundene Treppe ausmachen. Pollys Neugier war erwacht. Schon wollte sie die Stufen emporsteigen, da zuckte sie zusammen. Die schwere Tür hinter ihr war zugefallen, und Finsternis umfing sie. Vergeblich versuchte Polly, die Tür zu öffnen, die seltsamerweise keine Klinke hatte.
„Ismeni!“, rief Polly, so laut sie konnte.
Keine Antwort. Da Polly nichts sehen konnte, tastete sie sich vorsichtig die steile Treppe hinauf, bis sie mit den Händen an etwas stieß, das sich wie ein Holzpaneel anfühlte. In aufsteigender Panik drückte Polly mit aller Kraft dagegen, und die Geheimtür schwang knarrend auf.
Polly stolperte in einen dunklen Raum und trat mit den nackten Füßen auf etwas. Mit einem kleinen Aufschrei sank sie in sich zusammen und hielt sich den schmerzenden Fuß.
Plötzlich wurde der Raum in Licht getaucht. Entsetzt blickte Polly zu Raschid auf, der von einem Sessel am Fenster aufgesprungen war. Das offene Hemd hing ihm locker über die Jeans, und er war barfuß. Er schien über Pollys Auftauchen ebenso erstaunt zu sein wie sie über seins.
„Ich muss mich verlaufen haben“, flüsterte sie verwirrt.
Er betrachtete ihren verführerischen Aufzug und atmete ein paar Mal tief durch, ehe er zu ihr herüberkam. „Entschuldige, du hast mich überrascht“, erklärte er. „Dein Fuß … du hast dich doch hoffentlich nicht verletzt?“
„Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe“, hauchte Polly. Geistesabwesend entfernte Raschid Spinnweben aus ihrem Gewand. „Ich bin ausgeritten und erst vor einigen Minuten zurückgekehrt.“
Pollys Überwurf glitt ihr von der Schulter, sodass das hauchdünne Nachthemd sichtbar wurde.
„Du hast dich verirrt und bist dabei zu mir gekommen“, fuhr Raschid mit rauer Stimme fort. „Deshalb brauchst du nicht verlegen zu sein. Du bist wunderbar …“
Polly wollte ihm erklären, dass sie keineswegs die Absicht gehabt hätte, in sein Schlafzimmer zu gehen, doch als sie den Ausdruck in
Weitere Kostenlose Bücher