Julia Gold Band 47
wenn auch nicht so hell wie du.“ Raschids Blick glitt versonnen über Pollys schimmerndes Haar, das ihr weich über die Schultern fiel. „Es ist eine Geschichte ohne Happy End. Salim war jung und heißblütig. Er überredete Louise, ihn zu heiraten, nachdem sie sich erst wenige Male gesehen hatten. Bald erkannten sie jedoch, dass sie in kultureller und religiöser Hinsicht zu verschieden waren. Nach der Geburt meines Vaters kam Louise hierher und weigerte sich, zu Salim zurückzukehren.“
„Warum?“
„Was hatten sie schon gemeinsam?“ Raschid zuckte die Schultern. „Das Leben, das Louise in unserem Land führte, war ihr verhasst. Sie war eine gebildete, weit gereiste, unabhängige Frau. Vor der Ehe hatte sie eine Freiheit genossen, die ihr bei uns nicht zugestanden wurde. Sie konnte sich an das abgeschiedene Dasein im Palast einfach nicht gewöhnen. Zudem wurde sie von den anderen Frauen gemieden, die es Salim übel nahmen, dass er eine Ausländerin geheiratet hatte.“
„Die Frage ist, ob er ihr geholfen hatte, sich einzuleben.“
„Wer weiß? Mein Großvater war jedenfalls sehr zornig, als Louise sich weigerte, zu ihm zurückzukehren. Er nahm sich eine zweite Frau“, berichtete Raschid zögernd.
„Oh!“, kam es betroffen über Pollys Lippen.
„Mirsa war die Mutter meines Onkels Achmed“, fuhr Raschid fort. „Sicher mag mein Großvater diese überstürzte Zweitehe aus Rache eingegangen sein, aber nach dem Koran war er dazu durchaus berechtigt. Louise hat ihm das jedoch nie verziehen.“
„Das kann ich ihr nachfühlen“, betonte Polly.
Raschid seufzte. „Als mein Vater sechs Jahre alt war, starb Mirsa bei einer Choleraepidemie. In den dazwischen liegenden Jahren hatten meine Großeltern kaum noch miteinander gesprochen. Wann immer Salim hierherkam, blieb Louise im Frauenflügel des Palastes. Mein Großvater besuchte seinen Sohn, sie aber nicht. Nach einer angemessenen Trauerzeit bat er Louise jedoch, wieder als seine Frau mit ihm zu leben. Sie weigerte sich und war nicht bereit, ihm zu verzeihen.“
„Ist das nicht verständlich? Er heiratet eine andere Frau, hat ein Kind mit ihr und lässt sich nach sechs Jahren huldvoll dazu herab, Louise wieder bei sich aufnehmen zu wollen.“
Raschid machte eine ungeduldige Handbewegung. „Nachdem mein Großvater Mirsa geheiratet hatte, konnte er sie doch nicht einfach verlassen. Er liebte Louise immer noch, und es muss ihm schwergefallen sein, sie zu bitten, zu ihm zurückzukehren. Trotzdem kam es zu keiner Versöhnung. Wenig später starb Louise an einer Lungenentzündung. Salim trauerte aufrichtig um sie und hat nie wieder geheiratet“, schloss Raschid.
Louises Schicksal berührte Polly. „Es war seine Schuld, dass es so weit gekommen ist“, stellte sie anklagend fest.
Beschwörend hob er die Hände. „Müssen wir für zwei Menschen Partei ergreifen, die gestorben sind, ehe wir geboren wurden? Das ist doch sentimentaler Unsinn.“
Polly stand auf und ging nachdenklich durch den Raum.
„Sie waren zu verschieden und konnten deshalb nicht zusammenleben“, gab Raschid zu bedenken.
Polly lachte bitter. „So wie wir? Die Geschichte der beiden ist doch genau genommen auch unsere. Nachdem Salim Louises überdrüssig war, interessierte es ihn nicht mehr, was sie empfand. Und bei uns ist es das Gleiche, Raschid.“
Er warf Polly einen eisigen Blick zu. „Es hat keinen Sinn, mit dir zu reden, wenn du in dieser Stimmung bist“, erklärte er beherrscht. „Dann bist du für vernünftige Argumente nicht zugänglich.“
Eine halbe Stunde später lag Polly in einer prunkvollen, in den Boden eingelassenen Badewanne und war froh, den beflissen um sie herumschwirrenden Dienerinnen entronnen zu sein. Sie befand sich in einem traditionellen Harem, in den man nur über einen einzigen Gang gelangte. Die Frauengemächer lagen hinter Gitterfenstern, kunstvoll gearbeiteten Sichtblenden und einem verschlossenen Eisentor.
Eine fast unheimliche Stille hatte in den weitläufigen, luxuriös eingerichteten Räumen geherrscht, als Polly zu ihren Gemächern geführt wurde. Sie waren durch eine große Halle, eine unwirklich anmutende Grotte mit einem Teich und schattige Bogengänge gekommen. Beim Gedanken an Louise, die hier abgeschieden von der Außenwelt gelebt hatte, überlief Polly ein Schauer.
Sie schickte die Dienerinnen fort, die im Schlafzimmer auf sie warteten. Drei flache Marmorstufen führten zum Bett hinauf. Beim Anblick des schimmernden
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