Julia Gold Band 47
Fluchtweg?“
Raschid legte sich zurück und wurde ernst. „Niemand kann in die Zukunft sehen. Wir sollten realistisch denken. Du bist noch sehr jung, aber eines Tages wirst du dir ein Kind wünschen. Das ist ganz normal. Und das Wissen, dass du keins haben kannst, wird den Wunsch nur noch stärker werden lassen.“
Ja, sie würde sich damit abfinden müssen, nie ein Baby zur Welt zu bringen. Polly setzte sich auf, doch ihr wurde übel, und sie legte sich sofort wieder zurück. Selbst wenn sie eines Tages darunter leiden sollte, kein Kind zu haben, würde sie das für sich behalten und Raschid nicht unnötig quälen, wie Berah es getan hatte.
Polly spürte seine Anspannung und erwiderte so locker wie möglich: „Lassen wir die Dinge auf uns zukommen. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Geschickt wechselte sie das Thema. „Ich wollte dich schon lange etwas fragen, Raschid. Worüber hast du dich mit deinem Vater vor der Trauungszeremonie gestritten?“
„Ist das jetzt noch wichtig?“
„Über mich, nicht wahr?“ Polly seufzte. „Du hast dich darüber beklagt, mich heiraten zu müssen.“
Raschid lachte schallend. „Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch.“ Er gab nach. „Also gut, ich verrat’s dir. Es hat überhaupt keinen Mordanschlag auf meinen Vater gegeben. Und das Eheversprechen war auch nicht ernst gemeint.“
Polly fuhr auf. „Aber …“
„Dein Vater hielt einen der Leibwächter irrtümlich für einen Todesschützen. Als dein Vater meinen mit sich zu Boden riss, schoss der Leibwächter auf Ernest, weil der Mann glaubte, dein Vater wolle einen Anschlag auf seinen König verüben.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Polly fassungslos.
„So war es aber. Mein Vater war natürlich erleichtert, dass Ernest nur eine leichte Verletzung davongetragen hatte. Um diplomatische Scherereien zu vermeiden, ließ mein Vater deinen jedoch in dem Glauben, seinem Gastgeber das Leben gerettet zu haben, und gab ihm das Eheversprechen mehr im Scherz.“
Polly dachte daran, wie stolz sich ihr Vater immer wieder mit seiner heroischen Tat gebrüstet hatte. „Dad darf nie erfahren, wie es wirklich war“, flüsterte sie.
„Als Ernest in London um eine Unterredung bat, nahm mein Vater an, es sei wegen der Einlösung des Versprechens und ließ Erkundigungen über dich einziehen“, fuhr Raschid fort. „Und da sein Sohn entschlossen war, Witwer zu bleiben und die Auskünfte über dich beeindruckend waren, kam meinem Vater die Entwicklung der Dinge äußerst gelegen.“
Polly lachte. „Eine völlig verrückte Geschichte … von Anfang bis Ende!“
Raschid stimmte in ihren Heiterkeitsausbruch ein. „Damals war ich wütend, aber jetzt bin ich froh, dass alles so gekommen ist.“
Er küsste sie verlangend und flüsterte: „Bei Allah, ich habe dich vermisst! Von jetzt an gibt es für uns keine Trennungen mehr. Wenn ich das nächste Mal ins Ausland reise, kommst du mit. Du bist mir unentbehrlich geworden.“
In der Woche, die nun folgte, war Polly so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Morgens ritt sie mit Raschid aus, und da er ein geduldiger Lehrer war, verlor sie ihre Unsicherheit bald. Als sie am dritten Tag von ihrem Ausritt zurückkehrten, plätscherten die Brunnenfontänen wieder. Raschid hatte die alte Anlage überholen lassen, um Polly eine Freude zu machen.
Während sie eines Abends den Sonnenuntergang von den Terrassengärten aus genoss, gesellte Raschid sich zu ihr.
„Du siehst so nachdenklich aus“, bemerkte er.
Polly stand lächelnd auf. „Ich habe die Abendstimmung auf mich wirken lassen.“
„Oder hast du dir bewusst gemacht, dass heute der Heilige Abend ist und du so weit von zu Hause entfernt bist? Kein Schnee, kein Weihnachtsbaum, kein prasselndes Kaminfeuer, keine Geschenke“, neckte Raschid sie und wurde ernst. „Ach, fast hätte ich’s vergessen. Wir haben Besuch.“
„Besuch?“, fragte Polly verwundert.
Raschid nahm ihre Hand und zog Polly mit sich ins Haus. Beim Betreten des Salons blieb Polly wie angewurzelt stehen, als sie den zweieinhalb Meter hohen, mit Lichtern und Glitzerwerk geschmückten Weihnachtsbaum entdeckte. Darunter stapelten sich festlich verpackte Geschenke.
Raschid legte die Arme von hinten um Polly. „Hast du Heimweh? Ich hätte deine Familie eingeladen, aber leider ist dein Vater noch nicht reisefähig.“
Polly war so überwältigt, dass ihre Augen feucht wurden. „Das … hast du für mich getan?“
Raschid drehte
Weitere Kostenlose Bücher