Julia Gold Band 47
veranlassen“, erwiderte Polly hastig.
Die mächtigen Palasttüren waren geöffnet und führten in eine riesige Eingangshalle mit kunstvoll gearbeiteten Säulen. Mosaikfliesen in allen Blauschattierungen tauchten den Raum in ein unwirkliches Licht.
„Traumhaft“, sagte Polly andächtig und blickte sich um. „So etwas habe ich noch nie gesehen …“
„Fühlst du dich an die Märchen aus Tausend und einer Nacht erinnert?“ Raschid lächelte. „Endlich scheinst du dich über etwas zu freuen.“
Polly ging darauf nicht ein und entfernte sich einige Schritte. „Warum ist der Palast unbewohnt?“
„Das ist nicht so einfach zu erklären. Ehe die Jagd hier verboten wurde, brachte mein Vater oft Gäste mit hierher. Doch heute haben die Mitglieder unserer Familie das Interesse an Aldeza verloren. Wenn sie ab und zu Abwechslung wollen, fliegen sie an die Costa del Sol. Dort besitzen wir eine Villa.“ Raschid schwieg einen Moment. „Habe ich dir bereits erzählt, dass Asif und Chassa zurzeit in Spanien sind?“
„Nein.“
„Ich glaube, ihre Probleme sind gelöst“, sagte Raschid.
„Das freut mich für die beiden. Wer hat als Letzter hier gewohnt?“, wechselte Polly das Thema. Sie mochte sich nicht noch einmal vorhalten lassen, sie versuche, sich in Familienangelegenheiten einzumischen.
„Meine Großmutter Louise. Sie hat hier viele Jahre allein gelebt.“
Polly fuhr überrascht herum. „Louise? Das ist kein arabischer Name.“
„Sie war Französin. Ich dachte, das wüsstest du.“
„Es erstaunt mich immer wieder, was ich alles auf wundersame Weise wissen sollte, ohne von jemandem aufgeklärt worden zu sein“, bemerkte Polly trocken.
„Du hättest nur zu fragen brauchen.“
„Das tue ich jetzt, Raschid. Wie bist du zu einer französischen Großmutter gekommen?“
„Ihr Vater war Anthropologe. Er kam her, um ein Buch über die Nomaden zu schreiben. Louise war seine Assistentin. Mein Großvater Salim verliebte sich auf den ersten Blick heftig in sie.“
„Klingt sehr romantisch.“
Raschid machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nach zwei Jahren gingen sie auseinander und lebten die nächsten fünfzehn Jahre getrennt. Klingt das auch romantisch?“ Er lächelte zynisch. „Aber was romantisch ist, kann ich ja sowieso nicht beurteilen, nicht wahr?“
„Wenn dein Großvater dir auch nur ein bisschen ähnlich war, überrascht es mich nicht …“ Polly verstummte plötzlich und drehte sich um, weil hinter ihnen das laute Klopfen eines Gehstocks ertönte.
9. KAPITEL
Eine schwarz gekleidete hagere alte Dame mit einer Dienerin im Gefolge näherte sich Polly und Raschid. Er versuchte, die Frau daran zu hindern, sich tief vor ihm zu verneigen, aber sie ließ sich nicht davon abhalten und redete aufgeregt auf ihn ein.
Die überschwängliche Begrüßung hatte eine unerwartete Wirkung auf ihn. Er stand reglos da, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, dann lächelte er verkrampft.
Leicht verlegen erklärte er Polly: „Das ist Ismeni. Sie ist sehr alt und lebt in der Vergangenheit. Würdest du ihr die Rose geben, die du in der Hand hast? Sie glaubt, sie sei für sie, weil sie denkt, du seist Louise. Die arme Frau hält uns für meine Großeltern“, setzte Raschid leise hinzu.
Polly spürte sein Unbehagen und überreichte der vor Rührung weinenden Ismeni lächelnd die Rose. Mit ihren knochigen Fingern ergriff die Alte Pollys Hand und küsste sie.
Raschid half Ismeni sanft auf, dann bedeutete er der wartenden Dienerin, sich ihrer anzunehmen. Die alte Dame ließ es sich jedoch nicht nehmen, Raschid und Polly persönlich in einen hohen, mit kostbaren Stilmöbeln eingerichteten Salon zu führen. Erst dann zog sie sich zurück.
„Warum wollte sie die Rose haben?“, fragte Polly verwundert. „Draußen gibt es doch Tausende davon.“
Raschid blieb stehen. „Louise hat sie gepflanzt. Für Ismeni haben Rosen eine ganz besondere Bedeutung. Ihre frühere Herrin erlaubte niemandem, sie zu pflücken.“
„Ach du meine Güte, und ausgerechnet das habe ich getan!“ Polly seufzte schuldbewusst.
„Das macht nichts“, beruhigte Raschid sie. „Von meiner Großmutter eine Rose geschenkt zu bekommen, muss eine große Ehre gewesen sein.“
„Ismeni scheint sehr glücklich darüber zu sein.“ Polly setzte sich auf ein zierliches vergoldetes Sofa, das nicht gerade bequem war. „Erzähl mir den Rest der Geschichte“, bat sie. „Ich nehme an, Louise hatte blaue Augen.“
„Richtig. Sie war blond,
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