Julia Gold Band 51
zielstrebig auf sich zukommen, drehte sich rasch um und floh hinaus in die milde Sommernacht.
Evie lief um das große Festzelt herum hinunter zum Ufer des Sees, der im blassen Mondschein schimmerte. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen. Schön, sie hatte es geschafft, hatte diesen Tag überstanden – wenngleich nicht ganz so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie hatte viele verärgert und niemanden zufriedengestellt. Aber zumindest konnte sie sich jetzt darauf konzentrieren, sich selbst zufriedenzustellen.
Und Evie wollte … Ihr Herz pochte. Überwältigt von Kummer, hob sie die Hand, in der sie immer noch Christinas Brautstrauß hielt, und schleuderte den Strauß so weit wie möglich auf den See hinaus. Die Rosen landeten mit einem leisen Platschen im Wasser und trieben sanft schaukelnd auf den silbrig schimmernden Wellen dahin.
„Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte jemand hinter ihr.
„Nicht, dass du es bemerken würdest“, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. „Geh weg, Raschid. Ich kann jetzt kein weiteres Wortgefecht mit dir gebrauchen.“
„Nein“, erwiderte er ruhig. „Das sehe ich …“
Sie hörte seine Schritte und erstarrte in Abwehr. Die Tränen kehrten mit Macht zurück. Evie schloss die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, während sie fast damit rechnete, dass Raschid ihren Fingerzeig mit der ihm eigenen Arroganz ignorieren würde.
Angespannt lauschte sie in die Stille. Nach einer kleinen Ewigkeit vernahm sie hinter sich kein Geräusch mehr und atmete auf. Wenigstens dieses eine Mal hatte Raschid anscheinend Feingefühl bewiesen und sie allein gelassen.
Mit einem tiefen Seufzer streifte Evie sich die hohen Sandaletten von den müden Füßen, löste ihr Haar und setzte sich in das trockene, kurz geschnittene Gras. Irgendwann würde sie sich zurück ins Schloss und in ihr Zimmer schleichen.
Morgen. Wieder seufzte sie. Der Morgen würde ihr neue, drängende Probleme bringen. Sie würde sich ihrer Mutter stellen müssen – und Raschid.
Irgendwo in der Dunkelheit rief eine Eule. Es klang klagend und einsam. Ein Fisch sprang über die glatte Oberfläche des Sees, und die Wellen, die er beim Eintauchen schlug, ließen den Brautstrauß erneut sanft schaukeln. Ich hätte das nicht tun dürfen, dachte Evie schuldbewusst. Sicher hätte es Christina sehr gekränkt, zu erfahren, welch ein kühles, nasses Grab ihr wunderschöner Strauß gefunden hatte.
Fröstelnd zog Evie die Knie an, beugte sich vor und lehnte müde die Stirn dagegen, sodass ihr das lange goldblonde Haar übers Gesicht fiel.
Als ihr fürsorglich ein Jackett um die Schultern gelegt wurde, war sie seltsamerweise nicht einmal überrascht. Wahrscheinlich hätte es sie mehr erstaunt, wenn Raschid tatsächlich gegangen wäre.
„Ich dachte, du wärst fort“, sagte sie.
„Nein“, antwortete er nur und setzte sich neben sie ins Gras.
Evie drehte das Gesicht und sah ihn durch den seidigen Vorhang ihres Haares an. Sein schönes, markantes Profil wirkte sehr ernst. Ihr Herz pochte in Liebe zu diesem Mann, als wollte es zerspringen.
Er wandte sich ihr zu. „Bist du jetzt bereit, mir zu sagen, was los ist?“
Nein, dachte sie unglücklich. Ich werde nie bereit sein! Sie wich seinem Blick aus und sah hinaus auf den See.
„Deine Mutter glaubt, du seist krank.“
Liebeskrank und todunglücklich, dachte Evie. Laut sagte sie: „Ich bin nicht krank.“
„Was, zum Teufel, ist dann mit dir los?“, fragte er gereizt.
„Hatte ich dir nicht gesagt, dass ich heute kein weiteres Wortgefecht mit dir ertragen kann?“, entgegnete sie heftig.
„Dann mach es nicht dazu! Du bist mein Leben, meine Liebe, mein Alles, Evie. Ich würde alles für dich tun, das weißt du.“
„Außer mich zu heiraten“, sagte sie und verwünschte im nächsten Moment ihre eigene Dummheit.
Raschid seufzte schwer. „Ist es das, was an dir nagt?“
„Nein“, sagte sie und wollte aufstehen, aber Raschid legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück.
„Rede!“, befahl er. „Oder gewöhne dich lieber an die unbequeme Aussicht, die Nacht genau hier zu verbringen.“
Er meinte es ernst, das war ihm anzusehen. Seufzend gab Evie sich geschlagen. Raschid ließ ihren Arm los. Sie wandte das Gesicht von ihm ab, blickte starr auf den See hinaus und sagte schlicht: „Ich bin schwanger.“
5. KAPITEL
Fairerweise musste man sagen, dass Raschid die Nachricht äußerlich bemerkenswert gefasst aufnahm. Er saß einfach nur da,
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