Julia Gold Band 51
in den nächsten See hinüberglitten. In einer begeisterten Geste breitete er die Arme aus. „Ist das herrlich! So viel Wasser!“ Tief sog er die Luft ein. „Und wie frisch es riecht! Das ist kein Salzwasser, oder?“
Lautes Hupen schreckte Clio auf. Sie wirbelte herum und entdeckte, dass sie sich erneut auf Kollisionskurs mit einem Boot befand. Entschuldigend winkte sie dem verärgerten Fahrer zu und korrigierte ihren Kurs, aber nicht besonders geschickt, sodass Jalal fast wieder das Gleichgewicht verlor. Doch diesmal fing er sich rechtzeitig.
„Verdammt, lenken Sie mich nicht so ab, wenn ich am Ruder stehe!“, schimpfte sie. Er hatte sie mit seiner Ausstrahlung magisch angezogen, und sie hatte nicht anders gekonnt, als über die Schulter zu schauen. „Nein, das ist kein Salzwasser. In Kanada gibt es nur Süßwasserseen.“
„Bei Allah! Das ist ein Wunder. Und dieses Wasser trinkt ihr.“ Es war keine Frage, aber er schien auf eine Bestätigung zu warten.
„Ja, wir trinken es.“ Sie lächelte. Aber als ihr bewusst wurde, wie rasch sie auf ihn einging, sperrte sie sich gegen die Gefühle, die er in ihr hervorrief. „Zurzeit jedenfalls noch. Eines Tages wird es dazu wohl zu verschmutzt sein, so wie alles andere auch.“
„Es muss vor Verschmutzung geschützt werden“, erklärte Jalal, als könnte er das höchstpersönlich anordnen. „Das darf einfach nicht zugelassen werden.“
„Natürlich nicht“, bemerkte Clio trocken.
„Warum wird solche Schönheit verschmutzt?“
„Weil es billiger ist, den Abfall hineinzuschütten, als ihn zu entsorgen.“
„Die Mutter meiner Mutter ist in einem Land von Seen und Wäldern groß geworden.“ Jalal war in Gedanken versunken und merkte erst, dass er gesprochen hatte, als Clio darauf reagierte.
„Wirklich? Wie kam es dann, dass sie einen Banditen aus der Wüste geheiratet hat?“
„Auf einer Reise durch die Wüste wurde sie von Selim, meinem Großvater, entführt und verbrachte den Rest ihres Lebens in der Wüste. Aber sie vergaß nie ihre geliebte Heimat.“
Aus der Verbindung war nur eine Tochter hervorgegangen, seine Mutter. Die in der Wüste geborene Nusaybah hatte als Kind von ihrer Mutter viele Geschichten über deren Heimat gehört und sie später an ihren Sohn weitergegeben. Ebenso hatte sie ihm erzählt, dass seine Großmutter in ihrer Heimat eine Prinzessin gewesen sei.
Es schien höchst unwahrscheinlich, aber ein Gentest hatte gezeigt, dass er mit Prinz Rafi näher verwandt war als mit Rafis beiden Halbbrüdern. Und bei weiteren Nachforschungen stellte sich heraus, dass Rafis Mutter, Prinzessin Nargis, eine Schwester gehabt hatte, die entführt worden war und von der niemand mehr etwas gehört hatte.
Über Jahrhunderte hatte die Familie jeden Sommer im Hochland verbracht, so wie Jalals Großmutter es ihrer Tochter berichtet hatte. Doch selbst bei den Geschichten seiner Mutter hatte Jalal nie eine solche Sehnsucht nach Seen und Wäldern verspürt, wie er sie jetzt hatte, da er diese Landschaft wirklich vor sich sah.
Clio runzelte die Stirn. „Sie hat den Rest ihres Lebens in der Wüste verbracht? Sie wurde nicht gerettet?“
„Zu der Zeit hat sich niemand darum gekümmert. Ihr blieb keine andere Wahl, als ihren Entführer zu heiraten.“
„Soll das heißen, ihre Familie wusste, wo sie war und hat sie ihrem Schicksal überlassen?“
„Ich habe keine Ahnung, ob sie es wussten. Es war jedoch so üblich, dass eine Frau, die von einem Mann geraubt wurde, ihm gelassen wurde. Ihre Familie ignorierte von dem Moment an ihre Existenz.“
„Und das nehmen Sie so gelassen hin?“, fragte sie ungläubig und empört.
„Ich kann daran nichts ändern, Clio. Es war nun einmal so, und ich bin dadurch heute hier. Meine Mutter ist das Kind dieser Verbindung. Was soll ich dazu sagen? So ist das Leben.“
„Und dazu gehört es, Frauen zu entführen, ja? Das rechtfertigt es. Hatten Sie etwa damit gerechnet, dass Prinz Rafi und meine Familie meine Schwester Zara ebenfalls ihrem Schicksal überlassen?“
Er schüttelte unwirsch den Kopf, sagte aber nichts dazu.
„Aber, nein!“, fuhr Clio hitzig fort. „Das hätte Ihnen ja nicht geholfen. Sie wussten, Rafi wollte sie wiederhaben. Die öffentliche Meinung hätte nichts anderes zugelassen. Vermutlich dachten Sie, er würde sie nicht mehr heiraten wollen, aber das hätte Sie auch nicht gestört. Hätte die Entführung die Liebe der beiden zerstört, wäre das eben ihr Schicksal gewesen, oder?
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