Julia Gold Band 51
ist“, erklärte sie spöttisch, wobei sie genau die Worte benutzte, mit denen Christinas Mutter sie am frühen Morgen steif lächelnd in diesen Raum geführt hatte. „Und ich bin ja so unübersehbar alleinstehend.“
„Verdammte Heuchler!“, stieß Julian hervor. „Von mir aus können sie ja missbilligen, was du in deinem Privatleben machst, aber müssen sie es so offensichtlich tun? Und dann hatten sie auch noch die Stirn, ihn einzuladen!“
„Nicht für mich.“
„Oh nein“, räumte ihr Bruder ärgerlich ein. „Weil sie es sich nicht leisten können, seinen Vater zu brüskieren.“
„Und Raschid hat die Taktlosigkeit besessen, die Einladung anzunehmen!“, warf Evie ein.
„Dein Werk?“
„Nein“, wehrte sie ehrlich ab. „Tatsächlich habe ich ihn gebeten, nicht zu kommen.“ Und er hat mich gebeten, mich zum Teufel zu scheren, fügte sie insgeheim hinzu. Raschid besaß eine angeborene Arroganz, die ihn alles ignorieren ließ, was er nicht sehen wollte.
Wobei Evie es ihm nicht ernsthaft verübeln konnte, dass er die Tatsache übersah, dass seine Gegenwart bei dieser Hochzeit von ihrer Mutter als peinlich empfunden wurde. Denn wer verurteilte heutzutage noch allen Ernstes die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, solange beide alleinstehend und ungebunden waren?
Alleinstehend und ungebunden, was für ein abgedroschenes Klischee! Raschid und sie waren in ihrer Beziehung keineswegs frei und ungebunden, sondern hatten beide an Respekt in ihren Familien und an privater Ungestörtheit eingebüßt. Und Evie hatte sich, seit sie Raschid kannte, nicht einen Tag mehr als alleinstehend empfunden. Weshalb sie auch das, was sie ihm früher oder später würde sagen müssen, immer weiter aufgeschoben hatte.
Heute nicht, sagte sie sich energisch und drehte sich zu ihrem Bruder um. Dieser Tag gehörte Christina und Julian, der immer noch sichtlich verärgert am Fenster stand. Evie wollte nicht, dass er verärgert war. Heute sollte er nur strahlend und glücklich aussehen – denn man würde ihr die Schuld geben, wenn es anders war.
„He!“ Sie stand auf, ging zu ihm und hakte sich bei ihm ein. „Hör auf zu grollen. Es verschandelt dein hübsches Gesicht.“
Julians jungenhaftes Lächeln wärmte ihr das Herz. Sie liebte ihren großen Bruder über die Maßen und wusste, dass er ihre Liebe erwiderte.
„Du siehst umwerfend aus“, sagte er jetzt. „Das Kleid gefällt mir.“
„Danke. Ich habe es speziell für diesen Anlass gekauft.“ Und nicht zuletzt, um damit eine unübersehbare Erklärung abzugeben – dass sie, Evie, zwar darauf verzichtet habe, bei dieser Hochzeit eine führende Rolle zu übernehmen, aber keineswegs die Absicht habe, gänzlich unterzutauchen, wie es vermutlich viele vorgezogen hätten.
Das Kleid war kurz und eng und aus einem feinen Seidenjersey, der ihre atemberaubende Figur umschmeichelte und reichlich Blick auf ihre hinreißenden Beine freigab. Und es war rot, dramatisch und kompromisslos leuchtend rot. Ein schmaler Goldgürtel betonte ihre zierliche Taille, an den Füßen trug sie dazu passend sehr hohe goldfarbene Riemchensandaletten. Auf dem Bett lag noch ein winziges Bolerojäckchen im gleichen Rot wie das Kleid – nicht zu vergessen der Hut, unter dessen breiter goldener Krempe Evie sich etwas verstecken zu können hoffte, um diesen schwierigen Tag irgendwie zu überstehen.
„Man wird deine Anwesenheit kaum übersehen“, bemerkte Julian treffend. Er kannte sie zu gut.
„Die lasterhafte Lady in Rot“, bestätigte Evie lächelnd. „Ich kann sowieso nichts gegen meine Kritiker ausrichten. Was bleibt mir also übrig, als mich ihrem Urteil anzuschließen?“
„Macht es ihm nichts aus, dass du so öffentlich gegen sie antrittst?“
Evie zuckte die Schultern. „Raschid ist mein Geliebter, aber nicht mein Vormund.“
„Ah, ich wittere Ärger.“ Julian seufzte. „Ist das deine Strafe für ihn, weil er sich geweigert hat, der Hochzeit fernzubleiben?“
Sie nahm ihre Hand vom Arm ihres Bruders und setzte sich wieder an den Frisiertisch. Für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen.
„Evie …“
„Nein“, fiel sie ihm ins Wort, „ich möchte nicht darüber reden. Nicht heute, Julian. Was zwischen Raschid und mir ist, geht nur uns etwas an. Halt dich da raus.“
„Ich frage mich, ob du das auch unserer lieben Mutter gesagt hast …“
„Bist du deshalb gekommen, Julian? Um herauszufinden, ob ich die Ursache für ihre schlechte Laune
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