Julia Gold Band 51
hauchzartem Seidenchiffon. Mit langen, engen Ärmeln, einem tiefen Ausschnitt und in der Taille gerafft, umschmeichelte sie Evies aufregende Figur auf betörende Weise.
„Gib es auf, Mutter.“ Evie seufzte. „Raschid wird nicht verschwinden, nur weil du ihn ignorierst.“
„Was könnte ihn denn veranlassen zu verschwinden?“
„Nichts, solange ich es kaum ertragen kann, von ihm getrennt zu sein“, antwortete Evie ehrlich.
Woraufhin ihre Mutter sich seufzend abwandte, ans Fenster ging und trostlos hinausblickte. Gewissensbisse regten sich in Evie. Wie Julian wollte sie ihre Mutter an diesem Tag nur glückstrahlend sehen. Deshalb ging sie zu ihr und küsste sie sanft auf die Wange.
„Ich liebe dich, Mutter.“
„Aber ihn liebst du mehr.“
Was hätte sie darauf antworten sollen? „Ich verspreche dir“, sagte Evie, „dass ich dir heute keine Schande mache.“
Ihre Mutter nickte und schien ihr zu glauben. Dankbar küsste Evie sie erneut auf die Wange, bevor sie zum Bett ging, um ihren Bolero zu holen.
„Harry ist hier.“
Evie bückte sich nach dem roten Jäckchen. „Ja. Ich weiß.“
„Er hat dich nie vergessen.“
„Das ist nur eine Frage der Zeit und der richtigen Frau.“
„Du warst die Richtige!“, sagte Lucinda heftig. „Hast du mit ihm gesprochen, seit du ihm den Laufpass gegeben hast?“
„Ich habe ihm nicht den Laufpass gegeben“, widersprach Evie. „Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, den ich abgelehnt habe.“ Sie war mit ihrer Geduld am Ende. „Harry hat diese Ablehnung vor zwei Jahren großmütig akzeptiert – warum kannst du es nicht auch, Mutter?“
„Weil ich immer noch das Bild vor Augen habe, wie glücklich ihr beiden zusammen wart, bis Scheich Raschid aufgetaucht ist und alles kaputtgemacht hat.“
„Er hat vielleicht deine Pläne kaputtgemacht“, entgegnete Evie ungehalten, „aber gewiss nicht meine. Ich liebe Raschid! Ich vergöttere ihn! Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit ihm zusammen verbringen kann. Ist das deutlich genug?“
„Und was ist, wenn der Tag kommt, an dem er dich nicht länger in seinem Leben gebrauchen kann?“, fragte ihre Mutter unbeirrt. „Was bleibt dir dann, Evie?“
Mehr, als du dir jetzt vorstellen kannst, dachte Evie unglücklich. „Warum kannst du dich nicht einfach freuen, dass ich glücklich bin?“, fragte sie verzweifelt.
„Weil du nicht glücklich bist! In letzter Zeit siehst du sogar alles andere als glücklich aus, Evie. Würdest du mir den Grund dafür nennen, wo du doch angeblich im siebten Himmel schwebst?“
War es so offensichtlich? „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ Evie wandte sich ab, bevor ihre Mutter ihren entsetzten Gesichtsausdruck sehen konnte.
„Ach nein?“ Ihre Mutter ging langsam zur Tür. „Nun, ich denke, wir werden bald die Wahrheit erfahren. Sorg bitte nur dafür, dass du heute vor allen Leuten nicht allzu viel Aufhebens um deine Affäre mit ihm machst“, fügte sie hinzu, womit sie den eigentlichen Grund ihres Kommens ansprach. „Es werden Vertreter sämtlicher arabischer Staaten anwesend sein. Ich will nicht, dass der Name meiner Tochter im gesamten Nahen Osten als der einer Frau mit lockerem Lebenswandel gehandelt wird.“
Evie sah zu, wie sich die Zimmertür hinter ihrer Mutter schloss, und hätte Lucinda am liebsten etwas hinterhergeworfen. Stattdessen ließ sie sich resigniert auf die Bettkante sinken. Dieser Tag würde die Hölle für sie werden, und das nicht nur wegen der spießigen Einstellung ihrer Mutter. Die Missbilligung würde ihr von allen Seiten entgegenschlagen. Da draußen erwartete sie ein Spießrutenlauf, an dem Araber und Engländer gleichermaßen beteiligt sein würden!
Verdammt! Wenn auch nur einer von ihnen ein schlichter Niemand gewesen wäre, hätte ihre Beziehung keinerlei Aufmerksamkeit erregt. Warum musste Raschid der reiche Erbe einer der vornehmsten arabischen Familien sein und sie die Tochter aus einem der ältesten Adelsgeschlechter Englands? Und dann war da natürlich noch die beunruhigende Tatsache, dass ihre Beziehung nun schon so lange Bestand hatte – das musste auf allen Seiten Missfallen wecken.
Ein Missfallen, das sich in naher Zukunft zu einem ernsthaften Konflikt auszuweiten drohte. Verdammt! Evie stand auf und machte sich bereit für die bevorstehende Schlacht.
3. KAPITEL
Draußen auf den gepflegten Rasenflächen, die sich vom Burggraben bis hinunter zu einem malerischen See erstreckten, hatten die mit der Bewirtung der
Weitere Kostenlose Bücher