Julia Gold Band 53
Freundschaft ernstlich zu gefährden bedeutet für uns den Gipfel der Grobheit“, erklärte er leise. „Wenn also ein Freund – oder auch nur ein Bekannter – uns verletzt oder etwas äußert, dem wir nicht zustimmen können, halten wir uns mit unserer Meinung zurück.“
„Das ist doch verlogen …“
„Nein, es bedeutet nur, das eine höher zu bewerten als das andere. Freundschaft ist wichtiger als unsere eigenen Bedürfnisse. Wir sind eher bereit, unseren Stolz hintanzustellen, als eine Freundschaft zu gefährden, indem wir unseren Standpunkt durchboxen – der ja schließlich auch falsch sein kann.“
„Wenigstens räumst du ein, dass auch du nicht unfehlbar bist! Und was ist mit Feinden?“, fragte sie sarkastisch. „Bekommen die einen Dolch in den Rücken?“
Khalil lachte in sich hinein.
„Ein Feind ist ein ehemaliger Freund.“ Er atmete tief und langsam aus. „Du warst einmal ein solcher Freund, Hannah.“ Die Muskeln seines Gesichts spannten sich. „Mehr als das“, fügte er leise mit weicher, kehliger Stimme hinzu.
Sie fühlte, wie sie durch und durch sanft und zugänglich wurde, und zwang sich, nicht länger auf seine murmelnden Lippen zu schauen. Ihre Erinnerungen hatten sie weich gemacht, und er versuchte nun mit Charme, alles wieder von vorn zu beginnen, ausschließlich zu seiner eigenen Selbstbestätigung und nur, um sie anschließend wieder fallen zu lassen wie ein Stück gebrauchtes Packpapier, genau wie damals. Aber sie würde sich nicht wieder verletzen lassen, dafür waren die Wunden zu tief. Wenn sie wieder zu bluten begännen, würde sie all ihre Stärke und Unabhängigkeit einbüßen.
Er wandte sich ihr kurz zu und ließ seinen Blick über ihr versteinertes Gesicht gleiten.
„Von allen Frauen, die ich je gekannt habe …“
„Spar dir deine süßen Worte, Khalil“, fiel sie ihm kühl in die Rede. „Du verpestest die Luft mit Lügen. Willst du nicht einsehen, dass mir nichts an dir liegt?“
„Das weiß ich. Du lässt nicht zu, dass Gefühle dich in praktischen Dingen behindern. Aber das macht dich umso anziehender für mich. Eine Frau, die sich nimmt, was sie will. Wann immer ich dich anschaue, sehe ich …“ Seine rauchige Stimme verklang. Auch Khalil schien sich in alten Erinnerungen verloren zu haben.
„Wie spannend“, meinte sie trocken. „Was siehst du denn nun?“
„Sinnlichkeit.“ Er flüsterte dieses Wort beinahe und gab ihm einen erregend warmen und tiefen Klang. „Ich sagte es dir schon. Heiße, offene, pure Sinnlichkeit. Jedem Mann, der dich nur mit einem Auge ansieht, würde es so ergehen.“
„Das eine Auge wäre schnell blau, wenn er sich Freiheiten herausnähme“, entgegnete sie scharf.
„Wie aggressiv du geworden bist“, bemerkte er in gefühlvollem Ton, offensichtlich nicht sehr beeindruckt. „Nur weil ich auf deine Einladung eingehe!“
„Ich dachte, billige Angebote könnten dich nicht interessieren?“, erinnerte sie ihn.
„Das dachte ich auch“, knurrte er. „Da habe ich mich geirrt, nicht wahr?“
Der warme Glanz in seinen Augen machte sie unruhig. Wie konnte sie ihn nur wieder auf den sicheren Boden geschäftlicher Tatsachen bringen?
„Eigentlich hatte ich beschlossen, dir das Leben so schwer wie möglich zu machen“, erklärte er. „Aber ich habe es mir anders überlegt.“
„Warum?“ Sie traute ihm nicht.
„So, wie du heute bist, wirst du euer Unternehmen zu einem großen Erfolg bringen, und an dem möchte ich gern teilhaben“, meinte er mit einem leisen Lachen. „Ich werde mit dir durch Marrakesch ziehen, dir helfen, gute Qualität auszuwählen, nicht zu viel zu zahlen, und ich werde den Versand organisieren, ganz so, wie wir schriftlich abgemacht haben.“
Hannah fuhr sich mit einer Hand über die heiße, schmerzende Stirn.
„Aber mir wirfst du vor, aus Gewinnsucht meine Gefühle beiseitezuschieben!“
„Wir standen uns einmal sehr nah, Hannah“, antwortete er mit einer heiseren Stimme, deren Klang sie elektrisierte. „Zu diesem paradiesischen Zustand können wir nie mehr zurückkehren. Wir können jedoch eine neue Art von Beziehung zueinander aufbauen, anders zwar, aber ebenso erfreulich.“
Sie fuhren jetzt auf einem breiten Boulevard in Richtung der ockerfarbenen, mit Zinnen und Türmchen bewehrten großen Mauer. Die Straße war beidseitig von schwer mit Früchten behangenen Orangenbäumen gesäumt, aber auch ihr Anblick konnte Hannah nicht aufmuntern. Ihr Kopf schmerzte, und ihr gesamter
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