Julia Gold Band 53
eine Perücke und formlos hängende Kleider mitgebracht.“
„Was soll das heißen?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.
Er startete den Wagen und lenkte ihn aus dem Flughafen hinaus.
„Ich fürchte, das Verhalten einiger westlicher Frauen lässt viel zu wünschen übrig. Viele von ihnen bieten sich sehr deutlich an“, begann er im Plauderton. „Und du musst wissen, dass Prostituierte hier offiziell nicht geduldet werden. Also gehen sie ihrem Gewerbe versteckt nach. Meist kann man sie daran erkennen, dass sie blond und wenig zurückhaltend sind, und dass sie allein auftreten. Ganz wie du, Hannah. Ein schlichter Marokkaner würde zwischen euch keinen Unterschied sehen. Ich garantiere dir, nach ein paar Minuten auf dem Markt wärest du von Männern umringt, bedrängt, angefasst, belästigt …“
„Nicht, wenn ich einen Führer habe“, protestierte sie, innerlich entsetzt.
„Glaubst du wirklich, der Führer würde sich anders verhalten?“, meinte Khalil gelassen. „Der würde auch nur versuchen, dich in eine dunkle Gasse zu locken. Das kannst du den Männern nicht einmal vorwerfen. Sie würden lediglich auf deine scheinbar offene Einladung reagieren. Mit jeder Pore strahlst du Sinnlichkeit aus, Hannah.“
„Ich glaube dir einfach nicht!“
„Nein? Dann geh und mach selbst die Erfahrung.“
Sie verstummte. Natürlich hatte sie in Reiseführern gelesen, dass marokkanische Frauen sich zurückhaltend kleideten und dass Europäerinnen deshalb häufig als provozierend empfunden wurden und ihre Freundlichkeit leicht zu Missverständnissen führte. Aber … Oh, verflucht, warum musste Khalil so schwierig sein? Er wäre der ideale Schutzschild.
In der Abgeschlossenheit des Wagens lud sich langsam die gesamte Atmosphäre mit einer so gefährlichen, knisternden Elektrizität auf, dass Hannah glaubte, platzen zu müssen, wenn sie ihrer Spannung nicht wenigsten in Worten Luft verschaffen konnte.
„Gut“, sagte sie grimmig, „lass uns eines klären. Versuchst du gezielt, mir Hindernisse in den Weg zu legen?“
Einige Sekunden lang konzentrierte er sich ausschließlich auf die Straße. Schließlich antwortete er: „Nein. Jetzt nicht mehr.“
„Wie bitte?“ Ungläubig schnappte sie nach Luft, und fassungslos schaute sie zu ihm hinüber. Nach und nach entspannten sich seine Muskeln, und ihre Augen wurden von dem faszinierenden Schauspiel unwiderstehlich angezogen. Zuerst senkten sich seine hochgezogenen Schultern und seine Brust, als er tief ausatmete, dann zeigten sich in dem Stoff über seinen vorher angespannten Schenkeln wieder weiche Falten, und er rückte seine festen, muskulösen Beine in eine bequemere Position. Und dann wandte er sich ihr mit einem strahlend charmanten, entschuldigenden Lächeln zu.
„Zugegeben“, sagte er, „eigentlich wollte ich mich dafür, wie du mich benutzt hast, an dir rächen. Als ihr mich kontaktiertet, kam es mir vor, als spieltest du selbst dich in meine Hände. Mein temperamentvolles Berberblut siegte. Erinnerst du dich noch, Hannah, ich sagte dir einmal, ich sei ein wildes Kind der Berge?“
Damals, in der kurzen Zeit ihrer romantischen Liebe, hatte er wenig über seine Herkunft erzählt, außer dass er der Sohn einer Berberin war und in Marrakesch als Fremdenführer arbeitete. Sie hatte keine Fragen gestellt, denn sie hatte eine Konfrontation ihrer beider Kulturen befürchtet und alles vermieden, was ihr Glück hätte stören können. Lieber hatten sie die irische Landschaft genossen und sich zärtlich und immer verlangender geküsst.
„Eigentlich kann ich mich nicht an vieles erinnern“, antwortete sie ihm mit vernichtender Gleichgültigkeit in der Stimme und gab vor, die Szenerie längs der Straße eingehend zu betrachten. Dabei sah sie nichts als ein verliebtes Paar auf einem grünen Hügel in irischer Landschaft. „Aber früher warst du einmal höflich“, setzte sie hinzu, jetzt allerdings mit einem Kloß im Hals. Er war so sanft, so zärtlich gewesen, sie hätte ihm damals von ganzem Herzen vertraut. Zum Teufel, sie hatte ihm ihr Herz anvertraut!
„Das bin ich immer noch“, sagte er ruhig. „Du hast mich eine Zeit lang fasziniert, was mich erst recht verärgerte. Ich benehme mich nicht oft so schlecht und zeige offen, dass mich jemand verletzt hat.“
„Wie meinst du das?“
„Wir beleidigen unsere Feinde nicht, und erst recht nicht unsere Freunde. Eine Freundschaft ist mir und allen Marokkanern heilig. Jeder ist ein potenzieller Freund. Eine
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