Julia Gold Band 53
Vorhängen leise Bewegungen im Wohngemach, wo der Tisch fürs Mittagessen gedeckt wurde. Hassan war nicht zurückgekehrt, aber das hatte sie auch nicht erwartet.
Nach einer Weile ertönte hinter dem Vorhang diskretes Hüsteln. „Wünschen Sie zu speisen, Sitti?“
Sitti? Mylady?
Die ehrerbietige Anrede überraschte Rose. Rasch stand sie auf, drapierte sich einen langen Chiffonschal züchtig um den Kopf und betrat den großen Raum. Wie erwartet, war der Tisch für eine Person gedeckt. Es gab Fleisch, frisch gebackenes, ungesäuertes Brot, Petersiliensalat, dicke Tomatenscheiben.
„Sukran“, sagte Rose, um die wenigen arabischen Wörter zu benutzen, die sie kannte. „Danke. Das sieht lecker aus.“ Der Mann verneigte sich. „Aber ich würde gern unten am Bach essen.“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging an ihm vorbei, als würde sie nicht daran zweifeln, dass er ihr folgen würde.
„Sitti …“ Der Diener eilte ihr nach, als sie das Zelt verließ, doch sie tat so, als würde sie ihn nicht hören. „Sitti“, wiederholte er beschwörend. „Die Speisen sind hier.“ Unbeirrt ging sie weiter über den steinigen Pfad. „Morgen“, erbot er sich, „morgen, insh’ Allah, serviere ich Ihnen das Essen am Bach.“
Sie blieb stehen, drehte sich um, und seine Miene entspannte sich. Doch Rose blickte nur bedeutsam zum Bach.
„Dort drüben.“ Sie deutete auf die Stelle, an der sie picknicken wollte, und ging weiter.
Hinter sich hörte sie bestürztes Flüstern und lächelte zufrieden. Die Männer konnten sie nicht aufhalten. Sie war Sitti, Mylady, ihre Herrin und somit Hassans Lady. Aber sie durften sie auch nicht allein weggehen lassen. Dann konnte sie sich verletzen … oder versuchen fortzulaufen.
Doch letztlich durfte sich ihr keiner von ihnen widersetzen. Das konnte nur Hassan.
Allerdings war es nicht ihr Problem. Rose war sicher, dass die Männer sich etwas einfallen lassen würden.
Also setzte sie sich auf einen mächtigen flachen Felsen oberhalb eines der Bäche, die die Oase versorgten, streifte sich die Sandaletten ab und ließ die Füße ins Wasser baumeln.
Es war herrlich kühl. Genießerisch lehnte Rose sich zurück, dabei stützte sie sich auf die Hände und hob den Kopf, um ihr Gesicht von der frischen Brise kühlen zu lassen, die von den Bergen herüberwehte. Später werde ich baden, beschloss sie.
Ein Mann mit einem Gewehr erschien und postierte sich ein Stück von ihr entfernt, dabei bemühte er sich, nicht direkt in ihre Richtung zu sehen. Wozu das Gewehr? fragte sie sich. Gab es hier Schlangen? Oder hoffte der Mann, eine Gazelle abzufangen, die zum Wasser wollte und ihm dann als leichte Beute zufallen würde?
Nach einer Weile bemerkte Rose aus den Augenwinkeln zwei Männer, die zu einer schattigen Stelle am Bachufer gingen. Sie trugen einen großen Teppich, den sie auf dem Boden ausbreiteten. Dabei hielten sie den Blick abgewandt. Und sie tat so, als würde sie sie nicht bemerken, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
Kissen wurden herbeigeschafft.
Rose bewegte die Füße im Wasser hin und her. Es war ihr komisch vorgekommen, mitten am Tag ein bodenlanges Gewand zu tragen, doch hier am Bach, die Füße im Wasser, in einen Kaftan gehüllt, dessen federleichter Seidenstoff ihre Beine umspielte, kam sie sich wie eine Märchenprinzessin vor.
Das Essen wurde in zwei Behältern gebracht. Ihr Herz schlug rascher. Würde Hassan kommen? Oder hatte er das Lager verlassen und war in die Wüste geritten, wo sie ihn nicht quälen konnte?
Hatte er vielleicht von Faisal gehört?
Der schieferblaue Seidenstoff ihres Gewands und ihr rotes Haar unter dem zarten Gewebe ihres Schals schimmerten im Sonnenlicht. Mit angehaltenem Atem betrachtete Hassan Rose aus der Entfernung und bemühte sich, nichts zu empfinden.
Unmöglich.
Mit den Füßen im Wasser sah sie aus wie eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht. Scheherezade hätte nicht schöner sein können, während sie ihre Märchen erzählte. Das hatten beide gemeinsam. Und ihre Klugheit.
Hassan unterdrückte ein Lächeln. Seine von Männern beherrschte Gesellschaft würde gegen ihre feministischen Anschauungen aufbegehren, doch Rose würde es spielend schaffen, sich ihre Regeln und Gepflogenheiten zunutze zu machen.
Sein Leben würde niemals langweilig sein, wenn sie bei ihm war und ihm auf die Nerven ging. Und dann würde es endlose Tage wie diesen geben, wenn sie auf ihn wartete.
Widerstrebend ließ Hassan den Traum
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