Julia Gold Band 53
kletterte mit unsicheren Beinen aus dem Wagen und war sofort umgeben vom Duft warmer Erde und von Vogelgezwitscher. Der festgetretene Lehmpfad führte zu einer hohen Mauer, die einen Garten mit Orangen- und Zitronenbäumen umfriedete. Die runden Baumkronen waren gespickt mit leuchtenden Früchten.
Hannah sog die Luft ein und roch ihren Duft.
„Orangenblüten“, sagte Khalil leise.
„Blüten und Früchte zur gleichen Zeit?“
„Wir Marokkaner lieben es, so viele Sinne wie möglich auf einmal zu erfreuen“, antwortete er mit Glut in den Augen.
„Wunderschön ist es hier.“ Sie wollte ihm einfach nicht erlauben, ihr die Schönheit dieser Umgebung zu verleiden. „Frankie wird vor Neid platzen.“
„Oh ja, das wird er.“
Sie biss sich auf die Lippen und unterdrückte ein Lächeln. Es war ihr also gelungen, ihn in die Irre zu führen.
Wenn sie sich umschaute, sah sie nichts als saftiges Grün, hohe Dattelpalmen und fruchtbare Felder, ganz anders, als sie erwartet hatte.
„Ich bin ganz benommen von so viel Schönheit. Das alles muss eine Fata Morgana sein“, murmelte sie und schloss ihre müden Augen.
Khalil zögerte einen Moment, dann pflückte er einen Blütenzweig, und während er ihn in ihr Haar steckte, streiften seine Finger leicht ihr Ohr, eine zarte Berührung, die sie wie eine Liebkosung empfand. Mit geschlossenen Augen blieb sie bewegungslos stehen.
Einen Augenblick lang war er ihr sehr nah. Zu nah. Ihr Herz schlug heftig und schnell, und sie konnte jeden Atemzug seines überwältigend männlichen Körpers fühlen. Der schwere, süße Duft der Orangenblüten beraubte sie beinahe ihrer Sinne. Fieber ließ ihren ganzen Körper erglühen. War das lediglich die Reaktion auf die Impfungen oder etwas viel, viel Gefährlicheres?
Jetzt beugte er seinen Kopf herunter, und einen Augenblick lang glaubte sie, er wolle sie küssen. Sein Gesicht kam dem ihren atemberaubend nahe, dann hörte sie ihn tief Luft holen.
„Wunderschön“, flüsterte er und entfernte sich etwas, um dann in spöttischem Ton fortzufahren: „Und auf keinen Fall eine Fata Morgana, nicht wahr?“
„Nein, wohl nicht“, stammelte sie unsicher und öffnete dann die Augen. Sein wissendes Lächeln verriet ihr, dass er sich seiner verwünschten Wirkung auf sie durchaus bewusst war. Mit zitternder Hand strich sie über ihre heiße Stirn und suchte verzweifelt nach einem unverfänglichen Thema.
„Gibt es hier in der Nähe einen Fluss, oder hat man ein so gutes Bewässerungssystem gebaut?“, fragte sie schließlich mit hoher, etwas unnatürlich klingender Stimme. Dabei versuchte sie, einen Blick in seine unergründlichen, jetzt sehr ernsten Augen zu vermeiden.
„Ganz Marrakesch ist eine riesige, künstliche Oase“, erklärte er dann. „Im elften Jahrhundert hat man ein System unterirdischer Kanäle gebaut, in dem frisches Wasser aus den Bergen hergeleitet wird, damit die Stadt auch im Sommer nicht austrocknet. Auf den Gipfeln des Hohen Atlas liegt etwa acht Monate im Jahr Schnee. Wenn er schmilzt, fließen Sturzbäche die Täler hinab in die Ebene. Vor nicht langer Zeit haben wir noch katastrophale Überschwemmungen im Frühling erlebt. Wenn du einen Ausflug in die Ausläufer des Gebirges machst, kannst du die Spuren noch sehen.“
„Ich möchte gern hinauffahren“, sagte sie voller Erleichterung, dass er sie nicht mehr mit seiner Sinnlichkeit bedrängte. „Es muss wunderschön sein dort oben.“
„Das ist es. Komm, ich denke, du möchtest vor Einbruch der Dunkelheit das Gepäck in der Wohnung haben.“
„Heißt das, es gibt hier keinen Strom?“, fragte sie besorgt, als sie ihm über einen gepflasterten Fußweg nacheilte.
„Oh doch, es gibt hier elektrisches Licht und auch fließendes Wasser – genau gesagt ein Bad. Sogar Wände und ein Dach. Ich habe alles für dich überprüft. Wir sind überraschend zivilisiert hier draußen in der Wildnis“, schloss er sarkastisch.
„Sei bitte nicht so empfindlich. Ich wusste nur nicht, was mich erwartet.“
Schweigend führte er sie an einer Reihe einstöckiger Gebäude vorbei, vor deren Eingängen Pflanzen in Tontöpfen standen. Die Häuser bildeten einen quadratischen Innenhof, in dem ein herrlich duftender Garten angelegt war mit einer Fülle von gelbem Jasmin, schulterhohen Geranien, Oleanderbüschen, blühenden Mandelbäumen und wuchernden purpurnen Bougainvilleen.
„Oh, Khalil“, rief sie begeistert aus. „Das ist ein Traum!“
Er warf ihr einen zynischen Blick
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