JULIA HOCHZEITSBAND Band 20
verteidigen musste. „Ich weiß ja nichts von seiner ersten Frau, aber ich kenne meine Schwester. Sie war nicht auf der Suche nach einem Ehemann.“
„Es ist mir egal, worauf sie es abgesehen hatte. Ich will wissen, warum du ‚Buße tust‘. Erzähl mir dein Geheimnis.“
„Du hast den Colonel ja kennengelernt.“
Er zog eine Grimasse. „Allerdings. Er ist kein Freund. Sonst hätte er uns neulich im Park nicht unterbrochen.“
„Der Colonel hat seine eigene Art, einen zur Vernunft zu bringen. Er war nicht der Einzige, der an dem Tag den Kopf verloren hat. Ich war auch nicht ich selbst.“ Sie seufzte. „Oder besser gesagt, ich war mein altes Selbst. Das impulsive leichtsinnige Ich, das handelt, ohne nachzudenken.“
„Sprichst du davon, dass du als Kind oft weggelaufen bist? So wie dein Vater gestorben ist … Es muss schwer gewesen sein. Jeder hätte dem hin und wieder für eine Weile entfliehen müssen.“
„Das stimmt nicht. Mein Bruder musste es nicht, und Molly auch nicht. Meine Mom war furchtbar stark.“ Ihre Stimme brach. „Nur ich bin wie ein egoistisches Gör weggelaufen, anstatt meine Familie zu unterstützen. Ich habe lieber das Auto meiner besten Freundin geklaut und bin damit durch den Stadtpark gepflügt.“
„Hast du dich dabei verletzt?“, fragte Nick besorgt.
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Nur ein paar Kratzer und Schnittwunden. Ich bin jedenfalls besser davongekommen als der Colonel.“
„Du hast ihn über den Haufen gefahren?“
„Ich bekenne mich schuldig.“ Ihm die Wahrheit einzugestehen, wirkte befreiend – viel mehr als das Eingeständnis gegenüber ihrem kleinen Bruder. Weil Nick ihr so viel bedeutete. „Aber ich habe meine Freundin die Schuld übernehmen lassen.“
„Das sieht dir gar nicht ähnlich.“
„Du kennst mich nicht. Bis zur Hochzeit hast du mich nicht mal wahrgenommen.“
Nachdenklich massierte er sich den Nacken. „Vielleicht doch. Womöglich hat es mich in der Kirche deswegen so umgehauen. Es war, als wenn da eine Verbindung zwischen uns bestünde. Vielleicht war es ein Wiedererkennen.“
„Wiedererkennen, ja“, pflichtete Colleen ihm eifrig bei. Das war ungefährlicher als „Liebe auf den ersten Blick“. Sie dachte all die Jahre zurück an das erste Mal, als er ihr in der Kantine des Krankenhauses begegnet war. Damals hatte es begonnen. Nur eine harmlose Schwärmerei, nichts weiter.
„Ich kenne dich also, und ich denke, dass mehr dahintersteckt. Du hast bestimmt nicht einfach so die Schuld auf jemand anderen abgewälzt.“
„Abby hat darauf bestanden. Es war ihr Auto. Sie war als schlechte Fahrerin bekannt und meinte, dass mir sowieso keiner glauben würde.“ Sie lachte. „Himmel, sogar meine eigene Mutter gibt zu, dass mir niemand zugehört hätte. Es waren zu viele wichtigere Dinge im Gang.“
„Warum tust du dann Buße? Und ausgerechnet auf der härtesten Station?“ Er erinnerte sich an den Klatsch in der Eisenwarenhandlung, dass sie die Empfindsamste in der Familie McClintock war. Wie stand sie es durch, zweimal in der Woche all die Kinder leiden, im Sterben liegen zu sehen wie damals ihren Vater? Ihre Stärke beeindruckte ihn. „Colleen, du bist unglaublich. Als ich gehört habe, dass du früher oft weggelaufen bist … Mir ist die Vorstellung verdammt nahegegangen, dass du ganz allein bist und weinst und niemand dich tröstet.“
Sie blinzelte heftig. „Das ist sehr lange her. Es geht mir gut. Ich brauche dein Mitleid nicht.“
„Ich bemitleide dich nicht“, widersprach Nick. „Aber ich verstehe dich.“ Ihre skeptische Miene verriet ihm, dass sie es für einen Spruch hielt und ihm unterstellte, dass er nur Katz und Maus mit ihr spielte. „Komm mit mir nach oben“, drängte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee. Nicht jetzt.“
Er wusste, was sie damit meinte: nicht jetzt, wo sie gerade so verletzlich war. „Ich möchte nur mit dir reden. Ich muss dir etwas erzählen.“
Sie hatte ihm ihr tiefstes dunkelstes Geheimnis anvertraut. Es war an der Zeit, ihr seines zu verraten.
9. KAPITEL
Erwartungsvoll saß Colleen auf der Ledercouch im sonnenüberfluteten Wohnzimmer ihres Bruders. Nick drehte sich zu ihr um und holte tief Luft. „Ich weiß aus Erfahrung, wie schuldig man sich fühlt für Dinge, die man getan – oder unterlassen hat.“
„Ärzte dürfen sich nicht die Schuld geben, wenn sie Patienten verlieren. Ich arbeite lange genug im Krankenhaus, um zu wissen, dass kein
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