Julia Liebeskrimi Band 09
auswendig, aber eine kleine Auffrischung konnte nicht schaden.
„Wir fangen mit ein paar Weitwinkelaufnahmen an. Tish, sobald wir mehr Licht haben, machst du einen Schwenk durch den Canyon. Ich will, dass der Zuschauer ein Gefühl für die räumliche Ausdehnung bekommt. Und ich will Kontraste … schwarze Schatten an rotem Sandstein, den runden Torbogen der Höhle gegen den zerklüfteten Felsvorsprung.“
„Du willst Kontraste, also bekommst du Kontraste“, sagte Tish selbstbewusst und schob ihre Kopie des Skripts in die Tasche ihrer Köperweste. Mit der liebenden Fürsorge, die eine Mutter ihrem Neugeborenen angedeihen lässt, nahm sie ein langes Objektiv aus einem der Koffer.
„Albert, fang die Morgengeräusche ein. Alle möglichen. Vögel, Eichhörnchen, das Rauschen der Blätter. Träge, verschlafen, langsam zum Leben erwachend. Zeig uns eine Natur, die freudig die aufgehende Sonne begrüßt.“
„Dornröschen, das aus seinem hundertjährigen Schlaf erwacht.“
„Exakt. Das ist genau die Stimmung, hinter der ich her bin. Ein langsames Erwachen. Eine sanfte Wiedergeburt. Das von der Sonne beschienene Dorf, das langsam aus den Fluten auftaucht.“
5. KAPITEL
Sydney bekam einen herrlichen Tag und eine mondhelle Nacht zum Drehen, bevor sich am Himmel eine schwarze Wolkenwand heranschob. Am Mittwochmorgen wurde sie vor Sonnenaufgang vom Summen ihres Reiseweckers und Donnergrollen in der Ferne geweckt.
Sie schlug mit der Hand auf den Wecker und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Erst einen Augenblick später wurde ihr klar, was die Geräusche zu bedeuten hatten. Sie riss den Kopf hoch und schaute auf die zugezogenen Vorhänge.
„O nein!“
Sie sprang aus dem Bett und bahnte sich durch die aufeinandergestapelten Ausrüstungsgegenstände, die sie und ihre Crew letzte Nacht aus Sicherheitsgründen in die Zimmer geschafft hatten, ihren Weg zum Fenster. Dort angelangt, zerrte sie sich das kurze Hemdchen, das sie trug, über den pinkfarbenen Slip, schob den Vorhang beiseite und spähte durch den Spalt nach draußen.
Der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. Bestürzt schaute Sydney auf die Pfützen, in denen sich der Schein der Glühbirnen spiegelte. Plötzlich erhellte ein greller Blitz den schwarzen Himmel und tauchte den Motelparkplatz in ein grünlich weißes Licht.
Sie prallte zurück und riss die Vorhänge zu, in dem törichten Glauben, sie würden die Elektrizität abhalten. In den Jahren, in denen sie in Chalo Canyon gelebt hatte, hatte sie genug dieser Gewitter erlebt, um einen Heidenrespekt vor ihnen zu haben.
Sie machte, dass sie vom Fenster wegkam, knipste die Nachttischlampe an und holte aus der Brieftasche, die Zack als Ersatz für die Brieftasche, die jetzt am Grund des Canyons lag, irgendwo für sie aufgetrieben hatte, ihren Zeitplan heraus und studierte ihn, im Schneidersitz auf dem Bett sitzend.
Am Montag hatten sie sich gleich nach dem Eintreffen der restlichen Crew an die Arbeit gemacht und den Canyonrand gefilmt. Gestern die Auftauchsequenz und ein paar gute Einstellungen des halb aus dem Wasser ragenden, vom Mondlicht beschienenen Dorfs.
Heute sollte das Staubecken endgültig leer sein, und sie wollte mit ihrer Crew in den Canyon hinabsteigen, um die Ruinen aus der Nähe zu filmen. Zack hatte bereits ein Team von Einheimischen organisiert, das die Leitern und die Kisten mit den Flaschenzügen in den Canyon transportieren sollte.
Besorgt an ihrer Unterlippe nagend, studierte Sydney ihren Zeitplan. Ein bisschen Luft war drin, allerdings nicht viel. Sie hatte acht Drehtage eingeplant, aber mit sechs konnte sie auch leben. Zwischen ihren Ausflügen zu den Ruinen hatte sie vor, einige Interviews mit Einheimischen zu machen, um der Legende Authentizität und Lokalkolorit zu verleihen.
Und das war der leichteste Teil. Nach den Dreharbeiten kamen viele arbeitsreiche Monate auf sie zu, die Rohfassung würde sie vielleicht Ende August fertig haben und die endgültige Fassung, wenn alles gut ging, Mitte September. Womit ihr noch genügend Zeit für den Wettlauf auf die Oscars im nächsten Jahr blieb.
Eine weitere Nominierung würde ihr viel helfen, ihren Kredit abzubezahlen. Noch wichtiger war, dass sie mit der Fertigstellung des Projekts das Versprechen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, einlösen würde. Sie würde Chalo Canyon und ihre Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich lassen und ihr Leben leben.
Seufzend ließ Sydney sich gegen das klapprige Kopfteil des Bettes
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