Julia Liebeskrimi Band 09
zurücksinken. Sie vermisste ihren Dad so sehr. Obwohl sie nicht wirklich einsam war. Ihr Schmerz war so weit abgeklungen, dass sie den Verlust akzeptieren konnte, und ihre verschiedenen Projekte hielten sie auf Trab, sodass sie sich lange Phasen der Erinnerungen und Traurigkeit nicht leisten konnte. Aber in Momenten wie diesem, wenn die Nacht die Welt noch in Dunkelheit hüllte und rollender Donner sie mit Stunden erzwungenen Müssiggangs bedrohte, spürte sie die Leere.
Natürlich hatte es in ihrem Leben Männer gegeben. Aber ihre Erfahrungen mit Jamie Chavez hatten sie wachsam gemacht. Vorsichtig. Im Nachhinein betrachtet, musste sie Jamie vielleicht sogar dankbar sein. Er hatte ihr insofern eine wertvolle Lehre erteilt, dass sie bei ihren nachfolgenden Beziehungen streng darauf geachtet hatte, sie möglichst unverbindlich zu gestalten. Mit keinem der Männer, mit denen sie im Lauf der Jahre ausgegangen war, hatte sie mehr verbunden als eine lockere Kameradschaft.
Allerdings hatte sie auch keiner so geküsst wie Reece Henderson.
Stirnrunzelnd versuchte sie, die Begebenheit aus ihrem Kopf hinauszudrängen. Vergiss es, Mädchen! Er ist nicht dein Typ, auch wenn du gar nicht weißt, wer dein Typ ist, ganz davon abgesehen, dass er dir alle möglichen Schlechtigkeiten unterstellt .
Die Erinnerung an die kaum verhüllte Verachtung, die sie an diesem Abend in Reese’ Augen entdeckt hatte, ärgerte sie so sehr, dass sie wieder auf die Uhr schaute. Fast sechs. Er sollte jetzt eigentlich schon auf sein.
Sie klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter ein und wählte die Nummer von Reese’ Zimmer. Das Telefon läutete ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Sie wollte eben wieder auflegen, als er abnahm.
„Henderson.“
Sydney musste zugeben, dass der Mann eine Stimme wie rauer Samt hatte. Tief. Voll. Sexy geschmeidig, mit einem ganz leichten südwestlichen Akzent, der an Cowboys, die alte Stetsons und enge Jeans trugen, erinnerte.
„Reece, hier ist Sydney.“
„Ja?“
„Es regnet.“
Einen Moment war es totenstill.
„Sie rufen mich um 5.46 Uhr an, um mir zu sagen, dass es regnet?“
War der Mann immer so genau, um Himmels willen?
„Haben Sie noch geschlafen?“
„Nein, ich war unter der Dusche. Jetzt stehe ich hier pudelnass und splitternackt und überlege mir, was zum Henker ich Ihrer Meinung nach gegen die Tatsache, dass es regnet, machen soll.“
Entschlossen verdrängte Sydney das Bild eines pudelnassen und splitternackten Reece Henderson.
„Ich erwarte nicht, dass Sie etwas dagegen machen, ich möchte mir nur Ihre Erlaubnis holen, dass ich in den Canyon kann, sobald es aufgehört hat zu regnen.“
„Rufen Sie mich an, wenn es aufgeklart hat.“
Sie knirschte mit den Zähnen. „Könnten wir nicht einen Kompromiss schließen? Wir haben für heute schon alle Vorbereitungen getroffen, und ich hasse es, einen ganzen Tag zu verschwenden, wenn es nicht unbedingt sein muss. Können wir nicht wenigstens bis zur Zufahrtstraße fahren? Wir könnten dann dort warten, bis das Gewitter vorbei ist.“
„Es geht nicht nur um den Regen hier in der Gegend“, wandte er ein. „Nördlich von uns regnet es auch. Ich möchte nicht, dass Sie und Ihre Crew von einer Sturmflut überrascht werden.“
In der Leitung wurde es still.
Sydney war sich normalerweise nicht zu schade zu betteln, wenn die Situation es erforderte. Doch da sie inzwischen gelernt hatte, dass Reece auf diesem Ohr nicht sonderlich gut hörte, hüllte sie sich in hartnäckiges Schweigen.
„Also gut“, gab er schließlich nach. „Aber rufen Sie mich an, und sprechen Sie mit mir persönlich, bevor Sie runtergehen.“
„Danke.“
Sydney legte auf, bevor ihm noch weitere Verhaltensmaßregeln einfallen konnten. Sie zog ihre Knie hoch, schlang ihre Arme darum und versuchte sich vorzustellen, was sie wohl in den Ruinen erwarten mochte. Zu ihrem allergrößten Missfallen drängte sich das lebhafte und gänzlich erotische Bild von Reece Hendersons knackigem Hintern dazwischen.
Der strömende Regen ließ langsam nach, und als Sydney und ihre Crew anfingen, ihre Ausrüstung einzuladen, nieselte es nur noch. Nachdem sie fast alles verstaut hatten, fuhr ein Pick-up, der mehr Roststellen als Farbe hatte, auf den Parkplatz.
Beim Anblick des alten Mannes, der aus dem Fahrzeug kletterte, stieg Freude in Sydney auf. Sie erinnerte sich an Henry Three Pines noch aus der Zeit, als er und ihr Vater zusammengearbeitet hatten … ihr Dad als Angel- und
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