Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
ihrem Kopf ignorierend. „Mein Baby?“, rief sie. „Das ist mein Baby?“
„Ja“, antwortete die Säuglingsschwester. „Ein süßes, kleines Mädchen.“
Anna betrachtete das kleine Wesen, schloss die Augen und öffnete sie wieder.
Plötzlich hörte das Baby auf zu schreien. Es war warm eingepackt, und man sah nur das Gesichtchen. Die großen Augen blickten fragend in die Welt.
Anna hatte das Gefühl zu ersticken, so stark und vielfältig waren die Gefühle, die auf sie einstürmten. „Oh, mein Baby! War alles nur ein Albtraum? Meine süße Kleine!“
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einem solchen Unfall das Gedächtnis ein bisschen leidet, aber das kommt schon wieder in Ordnung“, sagte die Oberschwester. „Wir behalten Sie ein bis zwei Tage zur Beobachtung hier. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“
Anna hörte kaum zu. „Ich möchte Sie in den Arm nehmen“, flüsterte sie und streckte sehnsüchtig die Arme aus. Man gab ihr das Kind, und sie ließ sich glücklich in die Kissen sinken. Ihr Herz pochte so heftig vor Freude, dass es fast wehtat. Begierig drückte sie das kleine Bündel an ihre Brust.
Diese riesigen, dunklen Augen; die schwarzen Haare, die sich über der kleinen Stirn ringelten; der kleine, feucht glänzende Mund, der sich gerade weit öffnete zu einem Gähnen. Bei einem Auge war die Haut darum herum einen Ton dunkler als im übrigen Gesicht. Dieser Schatten um das Auge wirkte wie ein Muttermal und machte die Kleine für Anna noch anbetungswürdiger.
„Sie ist so schön. Und so winzig“, sagte Anna ehrfürchtig.
„Ja, sie ist wirklich niedlich“, bestätigte die Säuglingsschwester.
Die Oberschwester beendete ihre Notizen auf Annas Krankenblatt und befestigte es am Fußende des Bettes. „Und jetzt kurieren Sie sich in aller Ruhe aus … Schwester? Kann ich Sie einen Moment sprechen?“
Die Krankenschwestern ließen Anna mit dem Baby allein. Staunend und erneut verwirrt betrachtete sie das Gesicht des Neugeborenen. Wahrscheinlich war dieses Muttermal eher ein Makel, doch nicht in den Augen einer Mutter. Ihr erschien das kleine Wesen dadurch noch verletzlicher. Anna konnte sich allerdings nicht erinnern, jemals zuvor ein solches Muttermal gesehen zu haben. War so etwas nicht erblich? Aber niemand in ihrer Familie hatte so etwas.
Und diese Erinnerung an das andere Kind? Ihr Sohn, er war wunderschön gewesen, nur so schrecklich bleich. Sie hatten ihr erlaubt, ihn zu halten, für einen kurzen Augenblick, um Abschied zu nehmen. In dem Moment hatte dieses Gefühl der Kälte sie zum ersten Mal erfasst. Sie hatten ihr zugeredet, zu weinen. Doch wenn man innerlich wie erstarrt war, konnte man nicht weinen.
War das alles nur ein Traum gewesen?
Auf einmal fühlte Anna sich unendlich müde. Sie legte das Baby zurück in die Wiege.
„Wer ist dein Vater?“, flüsterte sie ihm zu. „Was ist geschehen? Was geschieht mit mir?“
Ihr Kopf tat so weh. Sie ließ sich zurücksinken und wünschte, das Licht wäre nicht so furchtbar grell.
„Meine Tochter, seid bereit für eine wundervolle Nach richt.“
Vertrauensvoll lächelte sie ihre Mutter an. „Ist es eine Nachricht von dem Prinzen?“, fragte sie, denn die aufre gende Neuigkeit war natürlich schon bis in den Harem ge drungen.
„Es wurde alles mit dem Prinzen und seinen Botschaf tern besprochen. Euer Vater, der Euch über alles liebt, ist sehr glücklich über diese Verbindung, denn er wünscht von ganzen Herzen Frieden mit dem Prinzen und seinem Volk.“
Sie verbeugte sich vor ihrer Mutter. „Ich bin froh, mei nen Vater glücklich machen zu können … Und der Prinz? Als was für ein Mann gilt er?“
„Oh, meine Tochter, er ist jung und schön. Er ist stark und beherrscht alle Künste, die ein Mann beherrschen muss. Auch im Krieg hat er sich bewährt, und es wird viel erzählt von seiner Tapferkeit.“
Sie seufzte glücklich. „Oh, Mutter, ich spüre, dass ich ihn jetzt schon liebe.“
Anna hätte nicht sagen können, was sie geweckt hatte. Am Fußende ihres Bettes stand ein hochgewachsener Mann und las ihr Krankenblatt. Irgendetwas an ihm kam ihr vertraut vor … Aber sie war immer noch so unendlich müde. Die Lider fielen ihr wieder zu.
„Es geht beiden gut“, hörte sie jemanden sagen. Sie öffnete die Augen erneut. Der Mann sprach gerade mit einer Frau … Ach ja, es war die Säuglingsschwester.
Dieser Mann, sie musste ihn einfach anschauen. Er sah unglaublich gut aus und hatte eine
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